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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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zu sein. Hier nicht. Wie man sieht, ward ein recht milder Klaps der Frau Roserl auf dem Fuße, nein eigentlich am prächtigen linken Unterarm alsbald verabreicht.
    Im Hintergrunde, bei den Obstbäumen, stand Thea Rokitzer. In Zihal aber zeigte sich auch hier wieder das gewissermaßen Durchgeformte, ein Sein, welches die Stationen und Situationen des Lebens ganz und sozusagen prall ausfüllt, so daß die Sachen zu ihrer eigentlichen Form kommen. Er gehörte nicht zu jenen Ehemännern, welche gleich, mir nichts, dir nichts, die Frau mindestens totschweigen, wenn sie grad einmal nicht anwesend ist. Im Gegenteile. Er hatte sie zu vertre ten. Und wenn schon Rosa Zihals nicht unerhebliche Raumverdrängung hier in physischer Hinsicht fehlte, so war an der leeren Stelle ein ihrer Gedenken mit Dekor erwähnend zu errichten. Denn eigentlich (so mocht' es für den Amtsrat anzusehen sein) hatte er ja in allen Fällen zu zweit aufzutreten, in seinem jetzigen Stande; war er früher ganz Junggeselle gewesen, so mußte nunmehr das Übergetreten-Sein in jenen neuen Stand auch geziemend zum Ausdrucke gebracht werden. Dies schien ihm selbstverständlich. Ebenso selbstverständlich wie der Gebrauch des Titels ›Herr Major‹ – und keineswegs ›Herr Kollege‹ – Melzern gegenüber, von dessen Amtsrats-Charakter er ebenso gut wußte (durch Paula) wie von seiner Vergangenheit als k. u. k. Offizier von Beruf und von seiner nicht zihaloiden Beschaffenheit (durch den Augenschein). Auch hier war ein Stand zu wahren. Kein eigener, ein fremder. Und damit doch wieder der eigene.
    Im Hintergrunde, bei den Obstbäumen, stand Thea Rokitzer. Nun, da die anderen, die Älteren, den Herrn Major Melzer begrüßt hatten, kam auch sie heran. Melzer hatte die kleine Resi Pichler noch auf dem Arm. Er ging Thea rasch entgegen. Aus dem Pappigen, dem kuchenartig Festgewordenen der Gewißheit in ihm sprang sie, Thea, jetzt auf wie eine kleine Fontäne, glashell vor dem blassen Himmel, blumenhaft oben gekelcht, frei, eine empor sich werfende letzte Sehnsucht, vor dem sonoren Grunde eines Schmerzes, den er zu ertragen gewillt war: als ihm, seinem Alter, seinem Leben, wie es geworden, zukommend. Einem Leben, das den letzten Schritt in sich hinein nicht hatte tun können oder gar wollen, sondern sich immer wieder nur mitnehmen ließ, auf eine Bärenjagd oder eine Fahrt im Automobil mit lackrot glänzenden Lederpolstern: und also hatte auch endlich ein Ergebnis dieser Art einmal kommen müssen, alles festlegend und definitiv machend, es gleichsam verbleiend; im Fremden, nicht im Eigenen, wohin er ja nie gelangt war in all diesem Weitergegeben-Werden, vom Militär in sein Amt etwa … Aber diese Fontäne, diese Blume, unter dem letzten Spätsommer-Himmel: es war seine Blume, durchaus seine eigene, die ihm doch nicht mehr zustand. Indessen, er konnte sie wenigstens noch sehen (wie der Patriarch das Gelobte Land noch gesehen, nicht mehr betreten hat), und das war schon viel. Was er da sah, das hätte er, Melzer – sein können, werden können …
    In diesen Sekunden einer melzerischen autobiographischen Selbst-Durchbohrung ereignete sich ein kleiner Vorfall, den kaum wer beachtete (außer der Pichler), ja, es gab hier ganz ungeheuerlich altmodische Menschen, wie etwa Theresia Schachl, die dabei garnichts Auffallendes gefunden hätten.
    Thea knixte vor dem Major. Sie tat es sozusagen versehentlich. War es die Honettheit dieser Umgebung hier (der doch unmerklich schon etwas von dem Duft eines alten Albums zu eignen begann) welche solches auf das junge Mädchen wirkte, und das trotz der so ganz anderen Kreise, in denen sie nun schon seit so vielen Monaten trieb und sich rieb? Wir möchten's fast meinen. Hier war etwas ganz geblieben – unbekümmert ganz, oder zufällig nur verschont, oder aus Stärke sich erhaltend – genug: es wirkte seine Aura. Wir möchten nicht annehmen, daß sie knixte, weil ihr Melzer plötzlich (und das wäre erstmalig gewesen) als ein älterer Herr erschien. Er allerdings mußte es annehmen. Er nahm es an und hin.
    Die Schärfe, mit welcher dieser winzige Vorgang von der Pichler beobachtet wurde – der versehentliche Knix Theas, den sie in den Knien nicht mehr aufzuhalten vermochte, das Entzücken Melzers über dies idyllische Bild zugleich mit dem tiefen, versehrenden Schmerz in seinen Zügen, welchen er, rasch sich verbeugend, verbarg – jene Schärfe der Wahrnehmung bei Paula also verdient besondere Erwähnung. Hier las sie wie von

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