Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
Vom Netzwerk:
daß die Dinge, von denen er hier und augenblicklich sprach, ihn besaßen, daß er von diesen Inhalten besessen war, weit mehr, als daß er selbst sie besaß oder behandelte. Schon damals fiel der Name Helmut Biese. Dem Rittmeister natürlich bekannt, wie eben alles, was mit der ganzen Branche zusammenhing. Er sagte: »Kennimus noch aus Berlin.« Aber Biese stand nicht im Mittelpunkte von Höpfners Gedanken und Erörterungen: sie zogen sich erst um diesen künftigen Mittelpunkt zusammen, was Höpfnern zur Zeit wohl noch gar nicht so recht bewußt sein mochte; und immerhin sollt' es ja auch Jahr und Tag dauern bis zum Hereinbruche praktischer Ernte aus theoretischen Spekulationen und Vorarbeiten über den Unglücklichen. Höpfner legte dar, daß es durchaus möglich sei, einem Menschen – es sei denn, der Betreffende verfüge über ganz außerordentliche Nervenkraft (hier fiel der Name Biese: er sagte, daß diesem eine solche Stärke der Nerven keineswegs eigne) – daß es also möglich sei, einem Menschen das Leben ganz und gar unmöglich zu machen, ja, ihn halb zu Grunde zu richten – ohne daß man sich dabei irgendwelcher gegen die Gesetze verstoßender Mittel bediene oder mit jenen in Konflikt geriete. Es ist hier nicht der Ort, Höpfners Methoden – er bezeichnete sie als kostspielig und in der Hauptsache nur als Gemeinschaftsarbeit durchführbar – zu zergliedern. Aber es hat sich im Verlaufe der weiteren Begebenheiten dann ein derartiger Fall ereignet, welcher als eine Art Höhepunkt (›Großkampftag‹, nannte es Höpfner), sein Licht zurückwarf auf alle dahin führenden Anstiege und Steigerungen der Nervenzerrüttung: etwa durch Eintreffen von immer fünf bis sechs Telegrammen mit Nacht-Zustellung aus den verschiedensten Städten, wobei der Text – ›Erbitten Nachricht über Ihr Befinden‹ – stets der gleiche blieb; bei Tage hingegen empfing das Büro Eilbriefe: sie waren leer. Vom Telephon zu schweigen. Der gleichzeitige Antransport mehrerer Bösendorfer-Konzertflügel (bei den Leihfirmen als für einen bevorstehenden Hausball bestellt und in nobelster Weise vorausbezahlt) koinzidierte jedoch am ›Großkampftage‹ genauestens mit den Weiterungen zweier kleiner Zeitungs-Annoncen, die tags vorher erschienen waren und deren eine darauf aufmerksam machte, daß (eben dort zur selben Stunde) die Vorstellung von Gouvernanten mit englischen Sprachkenntnissen erwünscht sei; während die zweite Anzeige unter den gleichen Zeitangaben den sofortigen Ankauf eines DobermannRüden den Züchtern oder Hundebesitzern als Vorhaben bekanntgab, freilich nur nach Besichtigung des mitzubringenden Tieres. Es ist das alles vor der Wohnung und im Stiegenhause zusammengetroffen; und bei den Klavieren muß man es wohl wörtlich nehmen, denn die nicht angenommenen trug man wuchtend herab und die neu hinzugekommenen wollte man ja hinauftragen. Es wäre wohl schlechthin überflüssig und billig, hier noch von dem Lärm der Hunde viel zu reden (außerdem klingelte das Telephon so ziemlich ununterbrochen) oder von Angst und Not der eingekeilten und von Biese angebrüllten Gouvernanten. Die Hausmeisterin schrie derartig, daß der nächste Rayons-Posten der Polizei im Laufschritt kam und die Sukkurs-Pfeife dabei ertönen ließ. Als Biese aus der Haustür taumelte, fuhr eben ein Miet-Automobil mäßig schnell vorbei. Es saßen vier Herren darin, welche Zylinder trugen und auch sonst schwarz gekleidet waren, vielleicht kamen sie von einem Begräbnis. Sie grüßten alle vier sehr höflich und gemessen. Der arme Biese aber hat den Schrei nicht mehr herausgebracht, als er Höpfnern erkannte. Er wollte dem Polizisten im Hausflur noch was sagen, bracht' es aber nicht fertig, der Beamte mußte ihn stützen. Daß hier, infolge der vielen Mittelsmänner, überhaupt jeder Nachweis unmöglich war, versteht sich am Rande.
    Niemand lachte. Allerdings war das Gespräch bis zum ›Großkampftag‹ noch nicht vorgedrungen, denn dieser lag ja noch in ferner Zukunft. Jedoch ist zu bezweifeln, ob er eigentlich Heiterkeit ausgelöst hätte. Das Ganze hatte einen Unterton, der Melzern zu dem flüchtigen Gedanken veranlaßte, er würde nicht eben wünschen, diesen Direktor Höpfner zum Feinde zu haben. In alledem steckte wohl etwas Manisches und tief Befangenes und, mehr als das, es steckte die Gesellschaft an, welche sich alsbald hier in der Apparatur verfing und im Gestrüpp der sozusagen technischen Einzelheiten und Möglichkeiten, welche man

Weitere Kostenlose Bücher