Die Strudlhofstiege
habe, mit Ihnen zu sprechen, eine Tatsache mitteilen, von der ich mich mit eigenen Augen überzeugen konnte. Also: Es gibt die Frau Schlinger zweimal!‹
Das war ja unmöglicher Blödsinn. Dennoch richtig.
›Herr Major – ein gemeinsamer Bekannter von uns beiden, der René Stangeler und ich, sind am Freitag dem 28. August abends am Westbahnhof zufällig zusammengetroffen, weil wir beide jemand abzuholen hatten. Dabei ist uns Frau Editha Schlinger, welche Sie ja kennen, doppelt begegnet …‹ Das war ja Stuß. Wenn auch reine Wahrheit. Die Mauer im Gehör mußte da zu Meterdicke und ganz unübersteiglicher Höhe anwachsen.
Erwies es sich demnach also, daß sie, Paula, dem Major diese Mitteilung gar nicht machen – konnte? Dagegen bäumte sie sich jetzt doch auf, dabei anscheinend mit Aufmerksamkeit, ebenso wie Theresia Schachl, dem Gespräche Zihals, Melzers und Alois Pichlers folgend, deren Unterhaltung lebhaft und auch nicht ganz uninteressant sich gestaltete.
Zur gleichen Zeit lagen an einem Abhang beim Waldrand Grete Siebenschein und René Stangeler, etwas unterhalb einer baumfreien Kuppe im sogenannten Lainzer Tierpark, der ebenso wenig wie ein Autostandplatz ein Park ist, sondern ein weit gedehntes Naturschutz-Gebiet (also schon beinahe so etwas Ähnliches wie die Sierscha-Schlucht bei Dobropolje es vor dem ersten Weltkriege gewesen ist, als der Major Laska und der Leutnant Melzer dort auf Wildschweine gefeuert hatten). Ein Wald- und Wildgebiet unmittelbar neben der Großstadt. Wenn man aber sagt, Grete und René lagen am Waldrand, so erwächst alsbald die Vorstellung, daß sie von hier schweigend oder gar sinnend (oder unsinnend) in die Weite gesehen haben mögen, was nicht zutraf und hier gar nicht möglich gewesen wäre, denn sie hatten den Wald etwas hangabwärts grad vor der Nase, während das baumfreie Terrain über ihnen noch ein wenig und bis zur Kuppe anstieg. Sie aßen aus einer großen Aluminium-Schachtel, und Stangeler trank Kaffee (seit jenem Abend bei Melzer war er sozusagen erst dem Kaffee auf den Geschmack gekommen – überall bleibt was hängen oder reißt was ab, der E. P. behält die Hosenträger in der Hand, und der Geyrenhoff gibt einem jungen Manne den Geruch mit für's Leben). Das Paar war aufgeräumt und etwas müde. Der Weg über Tag war schön aber weit gewesen.
Seit dem verwichenen Mittwoch und Renés plötzlichem Erscheinen begann eine erhöhte Vorsicht die Grete Siebenschein zu bewohnen. In ihrer doch auch recht mittelbaren Art der Auffassung, die jeden Eindruck durch die Reflexion brach und ihn solchermaßen erst ihrem Innern assimilieren mußte, schien ihr dieser neue heftige Impuls Stangelers auf sie zu erstens verdächtig – als das Zeichen einer möglicherweise begangenen Untreue mit dramatischer Rückkehr zu den alten Göttern – zweitens aber als eine ernsthafte und nicht zu versäumende Gelegenheit, endlich wieder das Oberwasser zu gewinnen, aus dem sie ja seit den Triumphen dieses Hochsommers und dem darauf folgenden eigenen ›Umfall‹ (noch immer nannte sie es so) einigermaßen herausgeraten war. Jenes Oberwasser schien ihr ganz unumgänglich notwendig, nicht aus Herrschsucht – eine solche eignete der Siebenschein gar nicht – sondern als Schutz für ihre Schwäche mußte es wieder erreicht werden, so dünkte ihr jetzt: während sie hier am Waldrand zwischen zwei Buttersemmeln blitzschnell durch ihre Trópoi glitt, rasch, trivial, wie wir alle. Im Grunde sind das lauter Gemeinheiten. Aber der Grete Siebenschein eignete nicht der Drang zum Dekor eines barocken Amtsorgans. Kein solcher Ton wollte feierlich in der Tuba schwellen. Was sie hingegen besaß, war ein nüchternes und gegen sich selbst schonungsloses Auffassen, aber – ihrer Meinung nach – nicht hinreichend unerbittliches Wahrnehmen und Wahren ihrer Ehre. Und diese war seltsamerweise nicht das, was man gemeiniglich die Frauenehre nennt, sondern es war die Ehre ei nes Mannes und eines Kämpfers; eines Kämpfers also gegen René Stangeler. Es war ihre Ehre als Gegner, um welche es ihr eigentlich ging. Die Buttersemmel in der linken, ein kleines abgebrochenes Stück davon in der rechten Hand haltend, verlängerte sich ihr Hals plötzlich mit Erfolg über die Situation hinaus, und sie beschloß (um's kurz zu machen), den René in jeder Hinsicht zunehmend kürzer zu halten. Jetzt oder nie. Schon bedauerte sie es und empfand es als verfehlt, daß sie René geradezu gebeten hatte, mit ihr diesen Ausflug
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