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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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es auf dem Gestell mit den Glasplatten samt dem anderen Kram durch volle achtzehn Tage herumliegen lassen! – sollte man daraus schließen, daß der Umgang des Rittmeisters mit den Zwillingen weniger vertraut oder frequent geworden war?).
    Editha sah nicht auf Eulenfeld. Sie blickte seitwärts neben ihren Sessel zu Boden.
    Der Gesichtsausdruck des Rittmeisters war indessen ein solcher geworden, daß Melzer besorgte, jener würde nun ohne weiteres losbrüllen.
    »Eulenfeld«, sagte er darum mit Entschiedenheit, »ich habe dich um etwas zu bitten.«
    »Das wäre?« fragte Eulenfeld in einem ganz formellen Tone: dieser war sozusagen alles, was augenblicklich nach außenhin von dem Rittmeister übrigblieb; denn er bemeisterte sich jetzt mit einer gesammelten Anstrengung seiner ganzen Person; das war für Melzer offensichtlich.
    »Ich bitte dich, mir zu versprechen, daß du Frau Editha aus dieser Sache mit den elenden Papierin hier (hätte Kroissenbrunner das gehört!) keinerlei Vorwurf mehr machen wirst. Auch nicht, wenn ich jetzt weggegangen sein werde.«
    »Es fällt mir schwer«, sagte der Rittmeister laut und präzise. »An dem Punkt, wo wir nun halten, sieht man nicht weniger als die Geburt der Gemeinheit aus der Dummheit. Dieser erschreckende Anblick aber legt mir nahe, inskünftig anders als bisher auch auf mich selbst zu achten, nicht aber anderen meine Verachtung zum Ausdrucke zu bringen. Aus dieser Erwägung sei deine Bitte gewährt. Du hast mein ritterliches Ehrenwort, daß Editha in dieser Angelegenheit von mir keinen Vorwurf hören wird, so wenig später wie jetzt.«
    Er streckte dem Major die Rechte über den Tisch entgegen und jener schlug ein.
    »Melzer, Melzer«, gickste Editha. Wie ein bloßer Hintergrund indessen blieb Mimi Scarlez. Sie fragte nichts, sie sagte nichts. Sie sah nicht auf die neben Eulenfelds Teetasse liegenden Blätter. Sie war gänzlich abwesend, ja abgereist, weit verreist. Vielleicht fuhr sie mit Scarlez in einem Boote und fütterte die weißen und schwarzen Schwäne, welche rundum schwammen. Rückwärts, zwischen den dichten gekuppelten Baumwipfeln, stand ein blaugrauer Pavillon mit einem Zwiebeldach auf langen, dünnen Säulen …
    In Melzer schlug eine hohe rote Welle inwendig hoch. Jetzt erst begann er zu begreifen, wie hier Rettung und Bewahrung gleichsam von allen Seiten auf ihn zugestürzt waren. In der roten Farbe vereinigten sich Thea und Mary durch Augenblicke wie zu einer einzigen ungeteilten Person.
    »Sie scheinen, meine Gnädige«, sagte er zu Editha – die sich jetzt aufrichtete, als er sie ansprach – »keine zulängliche Vorstellung davon zu haben, welche unerbittliche Strenge der Auffassung in gewissen amtlichen Sachen hierzulande herrscht. Wäre ich zum Beispiel am 21. September hier bei Ihnen zufällig mit der Polizei zusammengetroffen und also wohl auch genötigt gewesen, mich zu legitimieren: dann hätte mein Erscheinen auf solchem Schauplatze in Anbetracht der Stellung, die ich bekleide, ohne jeden Zweifel schon ernste Folgen nach sich gezogen; ganz zu schweigen von dem, was eingetreten wäre, wenn etwa die Polizei die hier auf dem Tische liegenden, aus meinem Amte stammenden und von Ihnen entwendeten Papiere hier vorgefunden hätte. Zweifellos wäre im weiteren Verlaufe mein Unbeteiligt-Sein an solchen Affären in volle Klarheit gerückt worden: aber gewiß nicht ohne vorherige Suspendierung vom Dienste und mindestens disziplinare Untersuchung (von der polizeilichen und gerichtlichen will ich hier gar nicht sprechen), was allein schon unter meinen derzeitigen besonderen Lebensumständen ein kaum zu ermessendes Unglück für mich bedeutet hätte.«
    »Dessen Verhütung allein Rokitzers Thea zu verdanken sein dürfte«, sagte der Rittmeister, »indem selbe den ganzen Unsegen in Edithas kleinem diesbezüglichem Schlafzimmer nebenan am 21. vorigen Monats, nachmittags ca. siebzehn Uhr und fünfunddreißig Minuten, klaute. Also stellt sich mir die Sache durch einfache Schlußfolgerung dar.«
    »Richtig«, sagte Melzer.
    »Dürftest also von der Duplizität hier sitzender Geschöpfchen«, so fuhr der Rittmeister fort, »durch einen darauf bezüglichen Rokitzerischen Vorbericht bereits in Kenntnis, demnach heute garnicht überrascht gewesen sein.«
    »Auch das ist zutreffend gefolgert«, bemerkte Melzer.
    »Leider auch die daraus sich ergebende Lehre, daß derlei Duplizitäts-Volk ohne entsprechende ständige Aufsicht, Kontrolle und Beschnüffelung immer neuen und

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