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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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immer haarsträubenderen Unsinn in die Welt setzt. Gedenke übrigens solcher Pflichten bald ledig zu sein, in deren Erfüllung ich, zugegebenermaßen, erheblich nachließ. Auch hat man einen alten Husaren in den letzten Wochen davon mit Erfolg, wie sich zeigt, abgedrängelt, sogar wiederholentlich an die diesbezügliche Luft gesetzt.« Großes Grunz-Zeichen. Er schwieg. Melzer wandte sich noch einmal an Editha.
    »Sie aber, liebe Gnädige, bitte ich um Ihretwillen innig und herzlich von solchen Streichen für immer die Hand zu lassen. Hiezu gehört Verworfenheit: und wie fern ist diese von Ihnen! Eben darum aber wäre auch in unserem Falle hier – wo die corpora delicti wochenlang sozusagen auf den Toilettentischen herumlagen! – die Sache auch für Ihre Person keineswegs ganz harmlos abgelaufen.«
    »Ich verspreche es Ihnen, Herr Major«, sagte Editha, sich vorbeugend; sie sah ihn an und ihre Hand näherte sich zögernd.
    »Aus, aus!« rief Eulenfeld. »Keine Gefahr mehr! Wedderkopp ante portas! Weeste, Melzerich, sotanes Geschöpfchen kommt demnächst wieder unter die Haube. Justav heeßt er. Justav Wedderkopp aus Wiesbaden.«
    Melzer hatte Edithas Hand kurz und fest ergriffen. »Meine besten Wünsche begleiten Sie, gnädige Frau«, sagte er, und sodann: »ja, durchaus und von Herzen« (ihre Frage ob er ihr verzeihe, war fast unhörbar geflüstert worden). Nun nahm er die Papiere vom Teetisch und erhob sich. »Dies wollen wir vernich ten«, sagte er und näherte sich dem Ofen. Alsbald reichte ihm Mimi ihr kleines silbernes Feuerzeug. Im letzten Augenblicke noch schied Melzer das einst von dem Amtsdiener Kroissenbrunner so schmerzlich vermißte Stück aus: dieses wollte er ihm zeigen mit dem Beifügen, er habe es damals versehentlich in sein Portefeuille gesteckt. Dort barg er es jetzt. Der Bausch Papier flammte indessen im leeren Ofen, das Feuer stürmte auf, durch Augenblicke noch weiß leuchtend wie all die Helligkeit hier, ja, als strebe es in die Ferne, welche draußen in einem ähnlichen scharf glastenden Scheine lag. Auch die andern hatten sich erhoben und umstanden den Ofen, dessen Maul nun wieder schwarz und leer wurde; Mimi stocherte mit dem Feuerhaken noch darin herum, zur letzten Zerstörung. Melzer trat zurück.
    Auch die anderen veränderten ihre Plätze, nachdem des Ofens Maul sich geschlossen hatte, und so ward unversehens jene Ordnung wieder hergestellt, wie zu Anfang des Auftrittes, beim Hervorkommen des Majors aus der Tapetentüre: Editha links, Mimi rechts vor dem breiten Fenster, der Rittmeister abseits. Niemand sprach. Sie hatten, nach allem, genug Freiheit gewonnen, um das sich ausbreitende Schweigen hinnehmen zu können und diese Leere rein zu halten, als ein Präsentierbrett für irgendetwas hier noch Erfolgendes. Auch war die Stille nicht lastend und dick. Sie wurde vielmehr dünn und hellhörig. Sie stand in Verbindung mit jener Stille draußen an den Lehnen und Waldrändern, in welcher Busch und Baum die ersten Blätter langsam fallen und zu Boden schaukeln ließen. Es war Herbst. Herbst auch (an diesem Freitag, dem 2. Oktober) hier in dem Zimmer mit den weißen Flügeltüren und den Supraporten darüber mit Weintrauben und Engeln. Melzers Blick wanderte zwischen den beiden Frauen. Endlich nahm er das Wort und sagte:
    »Ihr wäret eins, nun seid Ihr zwei. Bei mir verhält es sich wesentlich umgekehrt. Auch das heilt also zusammen.« Er trat heran, verabschiedete sich, erst von Editha, dann von Mimi, deren Hand er durch Augenblicke nach dem Kusse noch festhielt. Dann wandte er sich zum Gehen. Zwischen den beiden so ähnlichen Frauen wie zwischen Torpfeilern hervortretend mußte sein Blick jetzt auf Eulenfeld fallen, der beim Ausgange stand. Melzer verhielt den Schritt, und auch ihn redete er noch einmal an.
    »Lieber Eulenfeld, ich habe dir zu sagen, daß ich seit dem 21. September mit Fräulein Thea Rokitzer verlobt bin.« Rückwärts blieb es still. Eulenfeld trat bewegt auf den Major zu: »Die schönste Nachricht, die ich hören kann, Melzer. Mein lieber Melzer. Dir diese Krone. Dir dieser Kranz. Man sieht dich doch wieder?« Er schüttelte ihm die Hand. »Nicht so bald«, sagte Melzer im Abgehen, nachdem er sich vor den beiden unheimlichen Damen noch einmal verbeugt hatte. Sie standen reglos wie Wachsfiguren mitten im Zimmer (in ihren weißen Piqué-Kleidern), das jetzt, von der Schwelle des Vorraumes gesehen, überhell erschien, wie ein Operations-Saal. Dann klappte die

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