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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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sehr klugen Menschen gleich von vornherein zutreffend orientiert worden zu sein, besonders über die personellen Verhältnisse, was nun einmal auch bei einer Behörde das Wichtigste, ja das allein Wichtige bleibt, denn sie besteht, mag sie welche Hoheit des Namens immer führen, doch aus Menschen und manchmal auch aus Unmenschen.

    Und doch, und obwohl alles so sehr auf dem Wege sich befand in profunde Unordnung zu geraten, wurden es im Jahre 1920 unsagbare Frühjahrstage für Etelka und Fraunholzer, der im Gefolge seiner durchgemachten und vollends ausgeheilten Krankheit damals zeitweise in Wien sein konnte: denn er hielt sich in den österreichischen Alpen auf, zu Gmunden, wo auch seine Frau mit den Kindern wohnte, deren Bedürfnisse unter den damaligen Ernährungsumständen in Oberösterreich leichter zu erfüllen waren als in der Großstadt.
Wir vergaßen schon des längeren, einmal irgendwo zu erwähnen oder anzumerken, daß Etelka in Konstantinopel einen Buben geboren hatte, ein gesundes und hübsches Kind. Es sah im höchsten Grade der Mutter ähnlich und dem Vater fast garnicht, noch mehr Grund für Fraunholzer, es zärtlich zu lieben und, indem er alle verfügbaren Beziehungen spielen ließ, aus Oberösterreich und aus Ungarn das Mögliche und Unmögliche für den Kleinen herbeizuschaffen. Etelka hatte also von Grauermann einen Buben.
Man sieht, wie jedermann seine Beiträge lieferte zur Komplizierung quer liegender Sachen, nun, eigentlich schon kreuz und quer liegender.
Und doch und obwohl – diese Tage waren unanfechtbar, und dieses ganze Frühjahr blieb so, man fühlte sich sogar sicher (die evidente Protektors-Rolle Fraunholzers dem jungen Ehepaare gegenüber erleichterte die Regie), man war in gar keiner Weise gescheucht oder gejagt. Man fuhr im offenen Fiaker über die Ringstraße: Etelka liebte es überhaupt im offenen Fiaker zu fahren, seit jeher. Die in zahllose Lichtreflexe sich zerschlagende Außenwelt – in wirren Blätterschatten und Sonnen-Getüpfel links und rechts unter den Bäumen – diese Außenwelt, unaufhörlich getroffen von herabflatternden Scheiben immer neuen Lichtes, welche wie in zahllose klingende Scherben zersprangen, sie war mit ihren nennbaren Reizen doch nicht für Etelka bis in's Innerste eindringend und ausfüllend, denn dort, lichtfern in's blasse Taubengrau der verborgensten Kammern ihres Lebens gehüllt, geschah modest und wie am Rande, aber ganz selbständig, die wesentliche Verschiebung, welche diese Tage kennzeichnete: und in ihrer Erinnerung und bis zur letzten Stunde blieb dies verknüpft mit dem kräftigen und männlich-klugen Gesichte Roberts unter dem leichten grauen Hut, mit den breiten Schultern, die stark und dabei unbeschwert sich in den Fond des Wagens lehnten. Hier zum ersten Mal wich etwas von ihr wie ein ohnmächtig gewordener Dämon, der sie bisher den anderen Menschen gleichsam entgegen gepeitscht hatte, so daß sie gewissermaßen nie an jemand herangetreten, sondern geradezu über alle hergefallen war, die zerrissene Fahne der eigenen Geltung wirbelnd. Nichts aber wollte sie jetzt mehr, als diesem Bilde einer schweigenden männlichen Selbstgewißheit, einer Bescheidenheit ohne Bedürfnis nach Äußerung, einfach dienen, indem sie es immer tiefer in sich aufnahm, ohne die Besorgnis, etwa gedrückt, verletzt, erniedrigt und gebrochen zu werden, ohne daß sie im entferntesten die Faust einer solchen immer gleichen Tendenz am Genicke spürte. Dieser ihr schlimmster Schmerz, der Vater, wich aus ihr, zeigte sich zugleich verwandelt und zog am Horizonte ihres Lebens in einer unerwarteten Gegend neu auf: und so konnte sie einen Raum dieses Lebens besetzen, der bisher qualvoll leer geblieben war, als hätte sie von dort immer ein bösartiger Schatten zurückgescheucht. Was war gegen solche Erlösung die Weite der sich öffnenden Gärten beim Burgtheater, was waren dagegen die da und dort in plötzlicher Weißglut, wie neu entstehende Sterne, strahlenden gesammelten Sonnen-Widerglaste in den Scheiben von Fenstern oder Fahrzeugen, was war dagegen die schäumende Hingedehntheit des Flieders auf dem äußeren Burgplatze, wohin man nun einbog. Alles das nur Obertöne, abgesplitterte duftende Striche in der einen großen Freude, in welcher Etelka dahinzog auf den sanft rollenden Rädern, hinter den hüpfenden und zuckenden Pferden, durch's Burgtor hinein in die in nere Stadt, wo das eilende und sich augenscheinlich so wohl befindende Leben der Trottoirs näher an's

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