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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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Gefährt heran kam und das Licht viel reizvoller wurde, denn links oder rechts schob sich eine stille, schattige Gasse wie ein taubengraues Trapez angenehm zwischen den Überfluß und zerteilte ihn.
Etelka ist damals gegen Mittag nach Hause gekommen in das ungarische Palais, durch das weite Vorhaus an dem grüßenden Portier vorbei, und auch oben in ihrer Wohnung mit leichtem lächelndem Kopfnicken an ihrer treuen Ziska vorbeigehend oder eigentlich gleitend oder schwebend, die der Herrin etwas verdutzt nachschaute, denn sie wollte eben einige häusliche Rapporte anbringen, über den Kleinen und über das Mittagessen. Aber Etelka war schon im Salon verschwunden. Dort kam sie notgedrungen zum Stehen und halb zum Sitzen auf der breiten Armlehne eines Fauteuils, den Blick versenkt an eine große gelbleuchtende Scheibe von getriebenem Messing, die, mit einem Durchmesser von fast einem Meter, ein niedriges, stabiles türkisches Taburett bedeckte, auf welchem die stets bereiten Geräte für den Mocca blinkten … Hier standen die Fenster offen, jedoch in dieser etwas zurückgezogenen Gegend der Stadt kam das unbestimmt mahlende ferne Geräusch nur schwach herein. (Wurde es von den großen Vorräten an Abgewandtheit und Stille und In-Sich-Gekehrtheit, welche auf dem nahen Minoritenplatz lagerten, wie von einem Kissen aufgefangen und gedämpft?) Etelka sah auf das leuchtende messingene Rund, das in der vom Fenster hereinfallenden Sonnenbahn lag, aber in Wahrheit sah oder fühlte sie durch das Metall hindurch und in ihr eigenes Innere. Es war wie eine Schmelzung, was jetzt durch sie floß. Und in diesem Erfließen erschaute sie die ihr bisher ganz unbekannte Möglichkeit einer Art von Aufgeben alles dessen, was sie immer bedrückt und zugleich gehetzt hatte, ein Aufgeben, aber ohne bittre Opferung und ganz ohne ein gewaltsames Ausder-Bahn- und gleichsam um die Ecke-Treten. Wie ein einziger leichter Schritt bot es sich an auf eine erreichbare höhere Ebene, ein Schritt aber, bei dem sie ihre spezifische, sehr persönliche Färbung des Lebens gleichsam an den Sohlen mitnehmen durfte und sie keineswegs aufgeben sollte, in irgendeiner kantigen lebensfeindlichen Alternative etwa, zwischen den Vorstellungen des Altruismus und des Egoismus, oder wie diese ihr so oft entgegen geschleuderten pädagogischen Wurfgeschosse sonst geheißen haben mochten.
Ihr schien das Leben, bisher gabelig in Widersätze gespreizt, wie in eins zu münden, in einen Strom von höherer und lösender Gewalt. Warum sie nun gerade, immer auf die leuchtende Scheibe von Messing schauend, an ihr Zimmer im Dresdener Pensionat dachte, das fragte sich Etelka nicht – an ihr Zimmer und an eine etwas ratlose Lage, darin sie sich damals eben befand: da hatte es geklopft und Fräulein Brandt war eingetreten, die Direktorin; aber nicht eigentlich in dieser ihrer Eigenschaft; ihr Gesichtsausdruck brachte eine ganz andere, neue Verbindung zu ihrem Zögling jetzt fertig in den Raum mit, es war höchst selbstverständlich, und so wurde es Etelka leicht, der älteren Freundin zu sagen, was sie eben an sich entdeckt hatte und welcher Fall da eingetreten war. Fräulein Brandt lächelte und nahm Etelka an der Hand und mit sich, während das Mädchen sich wie innerlich durchbrochen fühlte von diesem neuen Erfließen in ihr und diesen plötzlich und in aller Stille offenbarten Geheimnissen des eigenen Körpers. Und so war es heute, nur war es nicht der Körper. Wie vieles wollte sich entfernen und sie verlassen in diesem lösenden Strom! Sie sank in den Fauteuil und vergrub das Gesicht zwischen ihren Armen auf der breiten Polster lehne.
    Allmählich, in dieser Zeit, etwa in den Jahren einundzwanzig und zweiundzwanzig (die glücklichsten in Etelkas Leben) hat sich für sie ein neuer Mittelpunkt und Ruhepunkt ergeben bei der Kammersängerin Cornelia Wett. Etelka hat den Konsul Fraunholzer irgendwann einmal zu ihr gebracht. Das wurde eher möglich durch einen genau genommen negativen Sachverhalt, von der Wett aus gesehen zumindest: denn diese hatte Etelka als künftige Sängerin sozusagen längst aufgegeben (freilich schon vor dem Kriege und angesichts von Etelkas teils durch Eskapaden grell belichtertem und verwirrtem, teils durch zeitweise ›façons voilées‹ wieder tief verdunkeltem und fast verschwindendem Lebensfaden, den Flüssen im Karst vergleichbar). So fiel ein sachliches Postulat von Seiten der Kammersängerin hinweg, zugleich ein Gewissensdruck und eine Hemmung für

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