Die stumme Bruderschaft
José Sa Beiro die Anweisungen des letzten Großmeisters erfüllend, die Ritter Beltrán de Santillana, João de Tomar und Wilfred de Payens losgeschickt, damit sie mit sicherem Geleit die heilige Reliquie bis zum Haus des Templerordens in Arborath brachten.
Nach einer stürmischen Überfahrt in Arborath eingetroffen, übergaben sie dem Oberen der schottischen Templer den wertvollsten Schatz des Ordens, den, so hatte der letzte Großmeister verfügt, in den nächsten Jahrhunderten nur einige wenige Auserwählte zu Gesicht bekommen sollten. Jacques de Molay konnte in Frieden ruhen.
45
Elianne Marchais war zierlich, elegant und durchaus attraktiv. Sie empfing Ana Jiménez mit einer Mischung aus Resignation und Neugier.
Sie mochte keine Journalisten, sie verdrehten alles, was man ihnen erzählte. Deswegen gab sie keine Interviews, und wenn sie zu irgendetwas nach ihrer Meinung gefragt wurde, war ihre immer gleiche Antwort: »Lesen Sie meine Bücher, da steht, was ich denke, und bitten Sie mich nicht, Ihnen in drei Minuten zu sagen, wofür ich dreihundert Seiten gebraucht habe.«
Aber bei dieser jungen Frau lag der Fall anders. Sie kam auf Empfehlung des spanischen Unesco-Botschafters. Zwei Rektoren von berühmten spanischen Universitäten und drei Kollegen von der Sorbonne hatten sich ebenfalls für sie verwendet. Entweder sie war sehr wichtig oder sie war so dickköpfig, dass sie Himmel und Hölle in Bewegung setzte, um ihr Ziel zu erreichen. In diesem Fall würde sie ein paar Minuten ihrer Zeit opfern, aber keinesfalls mehr.
Ana Jiménez war klar, dass sie einer Frau wie Elianne Marchais nicht mit Ausflüchten kommen konnte. Also würde sie ihr die Wahrheit sagen, worauf diese sie entweder unverrichteter Dinge hinauskomplimentieren oder ihr helfen würde.
Sie brauchte etwa zwanzig Minuten, um zu erläutern, dass sie eine Geschichte über das Grabtuch schreiben wollte und dass sie ihre Meinung als Expertin benötigte, um in der Geschichte der Reliquie Wahrheit von Erfindung unterscheiden zu können.
»Und warum interessieren Sie sich für das Grabtuch? Sind Sie katholisch?«
»Nein … na ja, irgendwie schon, ich bin getauft, aber keine praktizierende Christin.«
»Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Warum interessieren Sie sich für das Grabtuch?«
»Es ist ein Gegenstand, über den viel polemisiert wird, außerdem scheint er Gewalttaten geradezu anzuziehen, Brände, Raubversuche …«
Professorin Marchais hob eine Augenbraue, und mit einer gewissen Verachtung schickte sie sich an, das Gespräch zu beenden.
»Mademoiselle Jiménez, ich fürchte, ich kann Ihnen nicht helfen. Mein Fachgebiet ist nicht die Esoterik. Sie müssen sich eine geeignetere Person suchen, mit der Sie sich über die interessante These, dass das Grabtuch Unheil anzieht, unterhalten können.«
Elianne Marchais stand auf. Sie hatte kein Interesse daran, mit einer dummen Journalistin ihre Zeit zu vergeuden. Für wen hielt sie sie denn, dass sie es wagte, ihr so einen Unsinn aufzutischen?
Ana rührte sich nicht. Sie sah der Professorin fest in die Augen und versuchte noch einmal ihr Glück. Hoffentlich trat sie nicht wieder ins Fettnäpfchen.
»Ich glaube, ich habe mich falsch ausgedrückt, Frau Professor Marchais. Ich interessiere mich nicht für Esoterik. Es tut mir Leid, wenn ich bei Ihnen diesen Eindruck hervorgerufen habe. Ich will eine ordentlich dokumentierte Geschichte schreiben, eben gerade ohne irgendwelche magischen oder esoterischen Spekulationen oder wie immer Sie es nennen wollen. Ich bin auf der Suche nach Tatsachen, nichts als Tatsachen. Deswegen bin ich zu Ihnen gekommen. Ich möchte die Wahrheit von den Auslegungen mehr oder weniger anerkannter Autoren unterscheiden können. Sie kennen die Geschichte Frankreichs im 13. und 14. Jahrhundert wie Ihre Westentasche, ich bin auf Ihr Wissen angewiesen.«
Elianne Marchais, die immer noch stand, zögerte, ob sie die junge Frau verabschieden oder ihrer Bitte nachkommen sollte. Die Erklärung, die sie ihr gegeben hatte, klang zumindest ernsthaft..
»Ich habe nicht viel Zeit, also sagen Sie mir, was genau Sie wissen wollen.«
Ana atmete erleichtert auf. Sie wusste, sie durfte jetzt keinen Fehler mehr machen, sonst war alles aus.
»Ich möchte, dass Sie mir alles erklären, was mit dem Auftauchen des Grabtuchs in Frankreich zu tun hat.«
Mit leicht angewidertem Gesichtsausdruck erzählte die Professorin Ana alle Details über das »Auftauchen« des Grabtuchs in
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