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Die stumme Bruderschaft

Die stumme Bruderschaft

Titel: Die stumme Bruderschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Navarro
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oben bis unten.
    »Ein wunderschönes Fleckchen.«
    »Ja, aber die jungen Leute sehen das nicht mehr so und gehen in die Stadt.«
    »Tja, in der Stadt gibt es mehr Arbeit.«
    »Die Arbeit ist da, wo man sie finden will, und hier in Lirey gibt es genug fruchtbares Ackerland. Woher kommen Sie?«
    »Ich bin Spanierin.«
    »Ah! Das dachte ich mir, wegen Ihres Akzents. Sie sprechen aber gut Französisch.«
    »Danke.«
    »Und was machen Sie hier? Haben Sie sich verfahren?«
    »Nein, keineswegs. Ich wollte diesen Ort sehen. Ich bin Journalistin, und ich schreibe eine Geschichte über das Grabtuch Christi, und da es einst hier in Lirey aufgetaucht ist …«
    »Ach! Das ist doch Jahrhunderte her. Heute behaupten sie, das Tuch sei nicht echt, es sei hier gemalt worden.«
    »Und was glauben Sie?«
    »Mir ist das gleich. Ich bin Atheistin, also, eigentlich Agnostikerin, und Geschichten von Heiligen und Reliquien haben mich nie interessiert.«
    »Ja, mir geht es genauso, aber man hat mich mit der Reportage beauftragt, und Job ist Job.«
    »Aber hier werden Sie nichts finden, von der Festung ist nur geblieben, was Sie da sehen.«
    »Gibt es keine Archive oder Dokumente über die Familie de Charny?«
    »Vielleicht in Troyes, obwohl – die Abkömmlinge der Familie leben in Paris.«
    »Leben?«
    »Gut, es gibt viele Zweige dieser Familie, aber Sie wissen ja, dass die Adeligen oft viele Nachkommen hatten.«
    »Wie könnte ich sie ausfindig machen?«
    »Keine Ahnung, ich hatte nie mit ihnen zu tun. Hin und wieder kam einer hier in Lirey vorbei. Vor drei oder vier Jahren erschien der Jüngste eines Zweiges der Charnys. Ein stattliches Bürschchen! Wir sind alle hin, um ihn anzuschauen.«
    »Aber wie könnte ich sie ausfindig machen?«
    »Fragen Sie in dem Haus da hinten. Da lebt Monsieur Didier, er kümmert sich um die Ländereien der Charnys.«
    Ana lief sofort zu dem Haus, das ihr die alte Frau gezeigt hatte. Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Sie war kurz davor, die Nachfahren von Geoffroy de Charny zu finden.
    Monsieur Didier war ungefähr sechzig. Groß und stark, mit weißem Haar und mürrischem Gesicht schaute er Ana misstrauisch an.
    »Monsieur Didier, ich bin Journalistin, ich schreibe eine Geschichte über das Grabtuch Christi und ich bin nach Lirey gekommen, weil es hier einst aufgetaucht ist. Ich weiß, dass dieses Land der Familie de Charny gehört hat, und man hat mir gesagt, Sie würden für sie arbeiten.«
    Didier sah sie verärgert an. Er hatte gerade in seinem Lieblingssessel ein Nickerchen gemacht. Seine Frau befand sich im hinteren Teil des Hauses, in der Küche, und hatte das Klingeln nicht gehört, und so war er zur Tür gegangen und hatte plötzlich diese Schnüfflerin vor sich.
    »Was wollen Sie?«
    »Ich möchte, dass Sie mir etwas über dieses Dorf, über die Familie Charny erzählen …«
    »Und warum?«
    »Ich habe Ihnen ja schon gesagt, ich bin Journalistin, und ich schreibe an einer Geschichte.«
    »Und was geht mich das an? Glauben Sie, ich würde mit Ihnen über die Charnys reden, nur weil Sie Journalistin sind?«
    »Nun, ich denke, ich habe Sie um nichts Böses gebeten. Ich weiß, dass man in diesem Dorf stolz sein muss, weil hier das Grabtuch aufgetaucht ist und …«
    »Das interessiert uns alle hier nicht die Bohne. Wenn Sie etwas über die Familie wissen wollen, dann besuchen Sie sie in Paris, aber kommen Sie nicht zu uns, wir tratschen nicht.«
    »Monsieur Didier, Sie verstehen mich falsch, ich bin nicht an Klatsch interessiert, ich will nur eine Geschichte schreiben, bei der dieses Dorf und die Familie Charny eine große Rolle spielen. Sie hatten das Grabtuch, hier wurde es ausgestellt und, na ja, da kann man doch stolz drauf sein.«
    »Einige von uns sind es auch.«
    Ana und Monsieur Didier wandten den Blick der Frau zu, die eben in den Flur gekommen war. Sie war groß und kräftig und ein wenig jünger als ihr Mann, aber im Gegensatz zu diesem keineswegs mürrisch, sondern freundlich.
    »Ich fürchte, Sie haben meinen Mann aufgeweckt, und das wirkt sich immer auf seine Laune aus. Kommen Sie rein. Möchten Sie einen Kaffee oder Tee?«
    Ana dachte nicht lange nach und ging hinein.
    »Vielen Dank. Wenn es keine Umstände macht. Ich würde gern einen Kaffee trinken.«
    »Er kommt gleich. Setzen Sie sich.«
    Die Didiers sahen sich an. Sie waren zwei völlig gegensätzliche Charaktere und waren bestimmt des Öfteren unterschiedlicher Meinung. Ana sprach über Banalitäten, bis die Frau zurück war.

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