Die stumme Bruderschaft
Pietro gebracht. Marco und sie hatten Glück gehabt: Sie hatten überlebt. Marco würde aber nie mehr arbeiten können, er saß im Rollstuhl und hatte oft Angstzustände. Er verfluchte sich, dass er noch lebte, wo so viele seiner Männer in dem eingestürzten Gang ihr Leben lassen mussten.
Der Innenminister hatte sie zusammen mit dem Kulturminister empfangen. Das Dezernat für Kunstdelikte lag in ihrer beider Verantwortungsbereich. Sie hatten sie gebeten, das Amt der Direktorin anzunehmen, aber sie hatte höflich abgelehnt. Sie wusste, dass sie die beiden dadurch vor den Kopf gestoßen und zudem ihr Leben erneut in Gefahr gebracht hatte, aber das war ihr egal.
Sie hatte beiden einen Bericht über den Fall zugesandt, in dem sie in allen Einzelheiten aufführte, was sie wusste, einschließlich des Gesprächs zwischen Ana Jiménez und Pater Yves. Der Fall war abgeschlossen, es durfte nichts an die Öffentlichkeit gelangen. Er war zum Staatsgeheimnis erklärt worden, und Ana ruhte zusammen mit dem letzten Templer in einem Turiner Tunnel.
Die Minister hatten ihr freundlich zu verstehen gegeben, dass sie ihre Geschichte nicht glaubten, es gab keine Zeugen, keinerlei Dokumente, die ihre Behauptungen bestätigten, nichts. Sie konnten Männer wie McCall, Umberto D’Alaqua und Doktor Bolard nicht einfach so anklagen, eine illegale Vereinigung gebildet zu haben: Diese Männer waren Stützpfeiler der Wirtschaft, und ihr Vermögen war unverzichtbar für die Entwicklung ihrer jeweiligen Heimatländer. Sie konnten auch nicht im Vatikan erscheinen und dem Papst sagen, Kardinal Visier sei ein Templer. Sie konnten keine Anklage erheben, denn diese Männer hatten ja nichts getan, selbst wenn Sofias Behauptungen stimmten. Sie konspirierten nicht gegen den Staat, gegen keinen Staat, sie wollten nicht die demokratische Ordnung unterwandern, sie hatten keine Verbindung zur Mafia, sie hatten sich nichts zuschulden kommen lassen, und dass sie Templer waren … Nun, das war kein Verbrechen, wenn es denn überhaupt stimmte.
Sie hatten noch einmal versucht, sie zu überreden, Marco Valonis Nachfolgerin zu werden. Wenn sie es nicht machte, fiele der Posten an Antonino oder Giuseppe. Was sie denn dazu meinte.
Aber sie hatte dazu keine Meinung. Sie wusste, dass einer der beiden der Verräter war, entweder der Polizist oder der Historiker, einer von ihnen hatte die Templer über alles informiert, was im Dezernat für Kunstdelikte vor sich ging. Pater Yves hatte es gesagt: Sie wussten alles, weil sie überall ihre Informanten hatten.
Sie wusste nicht, was sie mit dem Rest ihres Lebens anfangen sollte, aber sie musste sich endlich dem Mann stellen, in den sie trotz allem verliebt war. Sie würde sich nicht länger etwas vormachen. Umberto D’Alaqua war mehr als eine Obsession.
Ihr Bein schmerzte, als sie auf das Gaspedal trat. Seit dem Unfall war sie nicht mehr Auto gefahren. Sie wusste, dass man vorgehabt hatte, sie zu töten. Bestimmt hatte D’Alaqua versucht, sie zu retten, als er sie bat, mit nach Syrien zu kommen. Die Templer töteten nicht, hatte Pater Yves gesagt, außer wenn es unbedingt notwendig war.
Sie kam zu dem Tor des Herrenhauses und wartete. Ein paar Sekunden später ging das Tor auf. Sie fuhr direkt bis vor den Eingang und stieg aus.
Umberto D’Alaqua wartete in der Tür.
»Sofia …«
»Tut mir Leid, dass ich meinen Besuch nicht angekündigt habe, aber …«
»Treten Sie ein.«
Er brachte sie in sein Büro. Er setzte sich hinter den Schreibtisch, um Distanz herzustellen, aber vielleicht auch, um sich vor der Frau zu schützen, die jetzt hinkte und deren Blick in dem vernarbten Gesicht hart geworden war. Sie war immer noch schön, auch wenn man jetzt von tragischer Schönheit sprechen musste.
»Ich denke, Sie wissen, dass ich ein Dossier über den Grabtuch-Fall an die Regierung gesandt habe, in dem ich aufdecke, dass es eine geheime Organisation mächtiger Männer gibt, die glauben, sie stünden über den anderen Menschen, den Regierungen, der Gesellschaft. Ich habe die Regierung aufgefordert, die Identität dieser Männer öffentlich zu machen und gegen sie zu ermitteln. Aber es wird natürlich nichts passieren, sie werden weiter im Dunkeln die Fäden ziehen.«
D’Alaqua antwortete nicht, er schien lediglich leicht zu nicken.
»Ich weiß, dass Sie ein Meister des Templerordens sind, dass Sie das Keuschheitsgelübde abgelegt haben. Das Armutsgelübde wohl nicht. Was die Gebote angeht, so erfüllen Sie die, die
Weitere Kostenlose Bücher