Die stumme Bruderschaft
erwartungsvoll an. Sofia wusste nicht, ob er ihren Plan guthieß oder ob ihm gerade etwas klar geworden war, das die anderen bislang übersehen hatten. Aber Marcos Worte beseitigten ihre Zweifel.
»Das machen wir, Sofia, das machen wir! Dein Plan ist perfekt, das hätten wir schon längst tun sollen. Ich werde mit den Ministern sprechen und ihnen den Fall erläutern. Sie müssen mit den Richtern sprechen, mit dem Staatsanwalt, mit wem auch immer, Hauptsache, der Stumme kommt auf freien Fuß, und von da an verfolgen wir ihn auf Schritt und Tritt.«
»Chef«, unterbrach ihn Pietro, »nicht so voreilig, wir müssen darüber nachdenken, wie wir dem Stummen seine Freilassung verkaufen. Zwei Monate, wie Sofia vorschlägt, erscheint mir zu wenig, wenn man bedenkt, dass du gerade erst bei ihm warst und ihm gesagt hast, dass er im Gefängnis verfaulen wird. Der merkt doch, dass da etwas nicht stimmt und rührt sich nicht vom Fleck.«
Minerva rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her, und Giuseppe schien weit weg mit den Gedanken. Antonino saß unbeteiligt da. Jetzt mussten sie ihre Meinung sagen, das war ihnen klar. Marco wollte immer, dass alle Mitglieder seines Teams sich beteiligten. Er traf die Entscheidungen, aber nicht, ohne die anderen vorher angehört zu haben.
»Antonino, warum sagst du nichts?«, hakte Marco nach.
»Sofias Plan erscheint mir brillant. Ich denke, wir sollten das in die Wege leiten. Aber ich glaube, auch Pietro hat Recht, man sollte ihn nicht zu bald freilassen; ich neige fast dazu, ihn das Jahr absitzen zu lassen, das er noch vor sich hat.«
»Und was sollen wir solange tun? Die Hände in den Schoß legen und darauf warten, dass sie wieder zuschlagen?«, rief Marco.
»Das Grabtuch ist im Tresor der Bank und kann dort die nächsten Monate bleiben. Es ist nicht das erste Mal, dass es eine lange Zeit nicht für die Öffentlichkeit zugänglich ist«, sagte Antonino.
»Er hat Recht«, bemerkte Minerva, »und das weißt du auch. Ich verstehe ja, dass es dich jetzt, wo wir unser Trojanisches Pferd gefunden haben, wütend macht, dass wir warten müssen. Aber wenn wir das nicht tun, laufen wir Gefahr, die einzige Spur zu verlieren, die wir haben. Der Stumme wird nicht einen unüberlegten Schritt machen, wenn er jetzt freikommt.«
»Giuseppe?«
»Chef, mir geht es wie dir: So lange zu warten, finde ich eine Zumutung.«
»So ist es«, sagte Marco bestimmt. »Wir können nicht ein Jahr warten, wie Pietro sagt.«
»Aber das wäre das Vernünftigste«, sagte Giuseppe beschwichtigend.
»Ich würde noch etwas anderes tun.«
Alle Blicke wandten sich wieder Sofia zu.
»Meiner Meinung nach müsste man die Arbeiter noch einmal in die Mangel nehmen, bis jeder Zweifel ausgeräumt ist, dass es sich bei dem Kurzschluss tatsächlich um einen Unfall handelt. Und wir müssen diese Firma COCSA genauer unter die Lupe nehmen und mit D’Alaqua reden. Vielleicht steckt hinter der ganzen Normalität etwas, das uns bis jetzt entgangen ist.«
»Was für einen Verdacht hast du, Sofia?«, fragte Marco.
»Nichts Genaues, aber meine Intuition sagt mir, dass wir auf jeden Fall die Arbeiter noch einmal in die Mangel nehmen sollten.«
Pietro schaute sie verärgert an. Er hatte sie ausführlichst befragt. Er hatte eine Mappe mit all ihren Daten, und er hatte nichts gefunden, weder in den Polizeicomputern noch in denen von Interpol. Sie waren sauber.
»Traust du ihnen nicht, weil sie Ausländer sind?«
Pietros Worte trafen Sofia wie ein Faustschlag.
»Du weißt genau, dass das nicht so ist. Das ist eine böswillige Unterstellung. Ich glaube einfach nur, dass wir sie uns alle noch mal genau anschauen sollen, meinetwegen auch den Kardinal.«
Marco war verärgert über das Duell der beiden. Er mochte sie beide, Sofia Galloni vielleicht noch etwas mehr, weil er ihre Intelligenz bewunderte. Außerdem war er der Ansicht, dass Sofia Recht hatte, vielleicht war ihnen wirklich etwas entgangen, also konnte man ruhig noch weiter nachbohren. Aber er musste Sofia so Recht geben, dass er Pietro nicht verletzte, der irgendwie beleidigt wirkte. Ob er eifersüchtig auf Sofias genialen Plan war? Oder hatten sie sich privat gestritten und setzten ihre Auseinandersetzung jetzt vor den anderen fort? In diesem Fall würde er dem sofort ein Ende machen: Sie wussten genau, dass persönliche Probleme am Arbeitsplatz nichts zu suchen hatten.
»Wir werden alles noch einmal überprüfen, was wir bis jetzt herausgefunden haben, und in jede nur
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