Die stumme Bruderschaft
steckte.
Sie hatte gedacht, sie würde ihn überraschen, wenn sie ihn zum Essen einlud, aber dem war nicht so. Er hatte ihr geantwortet, wenn der Kardinal nichts dagegen habe, werde er selbstverständlich mit ihr zu Mittag essen.
Und da saßen sie nun in einer kleinen Trattoria in der Nähe der Kathedrale.
»Ich freue mich, dass der Kardinal Ihnen erlaubt hat, meiner Einladung nachzukommen. Ich würde gerne mit Ihnen über die Ereignisse in der Kathedrale sprechen.«
Der Priester hörte ihr aufmerksam, aber ohne sonderliches Interesse zu.
»Pater Yves, geben Sie mir eine ehrliche Antwort, glauben Sie, dass es ein Unfall war?«
»Es wäre schlimm, wenn ich lügen würde …« sagte er lächelnd.
»Natürlich glaube ich, dass es ein Unfall war. Es sei denn, Sie wissen etwas, was ich nicht weiß.«
Pater Yves schaute sie durchdringend an. Es war ein offener, liebenswürdiger Blick, aber Sofia war trotzdem der Ansicht, dass er etwas verheimlichte.
»Vielleicht ist es ja eine Berufskrankheit, aber ich glaube nicht an Zufälle, und in der Kathedrale hat es zu viele davon gegeben.«
»Haben Sie den Verdacht, dass der Brand absichtlich herbeigeführt wurde? Aber von wem? Und warum?«
»Das versuchen wir gerade zu ermitteln. Vergessen Sie nicht, dass wir einen Toten haben, einen jungen Mann. Wer ist er? Was hatte er dort zu suchen? Die Autopsie hat ergeben, dass er keine Zunge hatte, genau wie der Stumme im Gefängnis. Erinnern Sie sich an den Raubversuch vor ein paar Jahren? Man muss kein Genie sein, um darauf zu kommen, dass da was faul ist.«
»Ich bin verwirrt … Ich hatte nicht gedacht, dass … Nun, ich halte Unfälle für möglich, vor allem in so alten Gebäuden wie der Kathedrale. Was den Leichnam ohne Zunge und den Stummen im Gefängnis angeht – keine Ahnung, ich weiß nicht, was sie miteinander zu tun haben könnten.«
»Pater, Sie kommen mir nicht vor wie irgendein x-beliebiger Priester.«
»Wie bitte?«
»Sie sind kein einfacher Priester. Sie sind ein intelligenter, gebildeter Mann. Deswegen wollte ich mit Ihnen sprechen, und ich bitte Sie nochmals, offen zu mir zu sein.«
Sofia hatte ihrer Verärgerung darüber Luft gemacht, dass Pater Yves Katz und Maus mit ihr spielte.
»Ich bedauere es, wenn ich sie verärgert habe. Ich glaube, wir leben einfach in zu verschiedenen Welten. In der Tat habe ich das Glück gehabt, eine gute Ausbildung zu bekommen, aber ich bin kein Polizist, und es gehört nicht zu meinen Aufgaben, Verdächtigungen anzustellen.«
Der Ton seiner Stimme war härter geworden. Auch er war offensichtlich verärgert.
»Tut mir Leid, vielleicht war ich etwas brüsk, aber ich wollte Sie um Ihre Hilfe bitten.«
»Um meine Hilfe? Wobei?«
»Beim Entwirren dieses Geheimnisses. Ich will offen zu Ihnen sein: Der Brand ist absichtlich gelegt worden. Wir wissen bloß nicht, warum.«
»Und wie soll ich Ihnen konkret dabei behilflich sein?«
Pater Yves war immer noch verärgert. Es war ein Fehler von Sofia gewesen, ihren Verdacht so klar auszusprechen.
»Ich möchte wissen, was Sie von den Arbeitern in der Kathedrale halten. Sie hatten so viele Monate mit ihnen zu tun. Hat einer von ihnen etwas gesagt oder getan, was Ihnen verdächtig vorkam? Und ich möchte, dass Sie mir etwas über das Personal im Bischofssitz sagen, na ja, über die Sekretärinnen, den Hausmeister, den Kardinal …«
»Dottoressa, sowohl ich als auch die anderen Mitglieder des Episkopats haben mit den Carabinieri und dem Dezernat für Kunstdelikte zusammengearbeitet. Es wäre ein Treuebruch meinerseits, wenn ich jetzt anfinge, Verdächtigungen auszustreuen. Ich habe nichts zu sagen, was ich nicht schon gesagt hätte, und wenn Sie der Ansicht sind, dass es kein Unfall war, dann müssen Sie ermitteln. Natürlich können Sie dabei auf die Mitarbeit des Episkopats zählen. Ehrlich gesagt, begreife ich Ihr Spiel nicht. Sie werden verstehen, dass ich den Kardinal über dieses Gespräch informieren werde.«
Die Spannung war offensichtlich. Pater Yves’ Wut wirkte echt. Auch Sofia fühlte sich unbehaglich, sie hatte das Gefühl, nicht klug genug vorzugehen.
»Ich habe Sie nicht gebeten, schlecht über die Arbeiter oder Ihre Kollegen zu sprechen …«
»Ach nein? Was denn nun, entweder Sie glauben, dass ich Ihnen etwas verheimliche, in dem Fall verdächtigen Sie mich, oder sie wollen von mir, dass ich irgendwelche Einzelheiten über die Arbeiter oder meine Kollegen ausplaudere, hier, in inoffiziellem Rahmen, und ich
Weitere Kostenlose Bücher