Die stumme Bruderschaft
Zorns ankämpfen und zugleich den Gläubigen Sicherheit geben und die Geheimnisse der Gemeinschaft bewahren musste.
Er erinnerte sich voller Schmerz an den Tag, an dem sein Vater ihn gerührt bis zu dem Haus führte, in dem damals der alte Hirte Addaio lebte.
Sein Vater, ein berühmter Mann in Urfa, heimlicher Kämpfer für den wahren Glauben, hatte ihm von klein auf gesagt, wenn er sich gut benähme, könne er eines Tages der Nachfolger von Addaio werden. Er hatte geantwortet, dass er das nicht wolle, er wollte lieber durch die grünen Gärten laufen, im Fluss schwimmen und mit den jungen Mädchen schäkern, die, genau wie er, gerade das Leben entdeckten.
Eine gefiel ihm besonders, die sanfte Rania, die Tochter von Nachbarn, mit Mandelaugen und dunklem Haar, und er träumte in der Dunkelheit seines Zimmers von ihr.
Aber sein Vater hatte anderes mit ihm vor, und kaum war er erwachsen, überzeugte er ihn, bei dem alten Addaio zu leben, die Gelübde abzulegen und sich auf die Aufgabe vorzubereiten, die, so hieß es, Gott für ihn bestimmt hatte: Sie hatten entschieden, dass er der neue Addaio sein würde.
Sein einziger Freund in diesen schmerzlichen Jahren war Guner. Er verriet ihn nie, wenn er heimlich zu Ranias Haus schlich und sie aus der Ferne beobachtete.
Auch Guner war ein Gefangener des Willens seiner Eltern, die er ehrte, indem er ihnen gehorchte. Die armen Eltern hatten für ihren Sohn, und damit für die ganze Familie, ein besseres Schicksal gefunden: Er würde nicht von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang arbeiten müssen, denn Addaios Eltern hatten Guner für würdig befunden, Addaios Diener zu werden.
Beide Männer hatten den Willen ihrer Eltern akzeptiert und für immer aufgehört, sie selbst zu sein.
21
Johannes traf Obodas im Garten an. In Gedanken versunken grub er die Erde um.
»Wo ist Timäus?«
»Er spricht mit Izaz. Du weißt doch, er bildet ihn aus, damit er eines Tages ein guter Führer der Gemeinschaft wird.«
Obodas wischte sich mit dem Arm den Schweiß von der Stirn und folgte Johannes ins Haus.
»Ich habe Neuigkeiten.«
Timäus und Izaz warteten, was Johannes zu sagen hatte.
»Harran ist mit seiner Karawane gekommen.«
»Harran! Was für eine Freude! Gehen wir zu ihm«, sagte Izaz und stand auf.
»Warte, Izaz. Die Karawane kommt nicht von Senin, auch wenn Harran mit ihr reist.«
»Und? Um Gottes willen, sprich, Johannes!«
»Ja, es ist besser, wenn du es weißt: Harran ist blind. Als er nach Edessa zurückkehrte, hat Maanu ihm die Augen ausstechen lassen. Senin, sein Herr, ist ermordet und sein Leichnam den Tieren in der Wüste vorgeworfen worden. Harran hat geschworen, dass er nichts von dir weiß, dass er dich an den Toren von Tyrus abgesetzt hat und dass du dich wahrscheinlich in Griechenland aufhältst. Dadurch ist Maanus Zorn noch mehr entfacht worden.«
Izaz fing an zu weinen. Er fühlte sich schuldig an Harrans Unglück. Timäus drückte tröstend seinen Arm.
»Wir werden ihn auf dem Karawanenplatz abholen und ihm helfen. Wenn er es wünscht, kann er bei uns bleiben.«
»Ich habe ihn gebeten, mit mir zu kommen, aber er wollte nicht. Er wollte, dass du von seinem Zustand weißt, bevor er herkommt. Du solltest dich nicht verpflichtet fühlen, seine Last mitzutragen.«
Izaz machte sich in Begleitung von Obodas und Johannes auf den Weg zum Karawanenplatz. Einer der Karawanenführer sagte ihnen, wo Harran zu finden war.
»Der Führer dieser Karawane ist ein Verwandter von Harran, er hat ihn mitgenommen. Harran ist in Edessa nichts geblieben: Seine Frau und seine Kinder sind ermordet worden, Senin hat man auf dem Platz vor den Augen aller, die sich das Spektakel anschauen wollten, gefoltert und getötet. Maanu hat sich grausam an den Freunden von Abgarus gerächt.«
»Aber Harran war kein Freund von Abgarus …«
»Aber sein Herr, Senin, und Senin wollte dem König nicht verraten, wo sich das Grabtuch von Jesus befindet. Maanu hat Senins Haus zerstört und seinen Besitz verbrannt. Senins Diener hat er auspeitschen lassen. Einigen hat er die Arme, anderen die Beine abschneiden lassen, und Harran hat er seiner Augen beraubt. Er kann froh sein, dass er mit dem Leben davongekommen ist.«
Harran saß auf dem Boden. Izaz zog ihn hoch und umarmte ihn.
»Harran, mein guter Freund!«
»Izaz, bist du das?«
»Ja, Harran, ich bin gekommen, um dich zu holen. Du wirst mit mir kommen, wir werden uns um dich kümmern. Es soll dir an nichts fehlen.«
Timäus nahm Harran
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