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Die stumme Bruderschaft

Die stumme Bruderschaft

Titel: Die stumme Bruderschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Navarro
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vorgezogen, nicht zum Hirten ernannt zu werden, aber als sie ihn auswählten, nahm er die Ehre und das Opfer an und schwor, was vor ihm andere geschworen hatten: Er würde Jesus’ Willen erfüllen.
    Einer der Männer in Schwarz räusperte sich. Addaio entnahm daraus, dass er sprechen wollte.
    »Sprich, Talat.«
    »Wir sollten nicht zulassen, dass die Verdächtigungen ein Feuer entfachen, das das Vertrauen zwischen uns auslöscht. Ich glaube nicht, dass unter uns ein Verräter ist. Wir haben es mit starken, intelligenten Mächten zu tun, deswegen konnten sie uns bislang daran hindern, uns zu holen, was uns gehört. Wir sollten uns an die Arbeit machen und einen neuen Plan entwickeln, und wenn wir wieder scheitern, versuchen wir es eben noch einmal. Der Herr wird entscheiden, wann wir würdig sind, Erfolg bei unserer Mission zu haben.«
    Talat hielt abwartend inne. Sein schlohweißes Haar und die Falten im Gesicht verliehen seinem Alter Würde.
    »Zeig dich den drei Auserwählten gegenüber nachsichtig«, sagte ein anderer, der auf den Namen Bakkalbasi hörte.
    »Nachsichtig? Glaubst du, wir können überleben, wenn wir uns nachsichtig zeigen, Bakkalbasi?«
    Addaio schlang die Finger ineinander und seufzte.
    »Manchmal denke ich, ihr habt schlecht daran getan, mich auszuwählen. Vielleicht bin ich nicht der Hirte, den Jesus in dieser Zeit und unter den gegebenen Umständen braucht. Ich faste, ich tue Buße, und ich bitte Gott um Stärke, er möge mich erleuchten und mir den rechten Weg weisen, aber Jesus antwortet nicht, er schickt mir kein Zeichen …«
    Addaios Stimme verriet tiefe Verzweiflung, aber er erholte sich rasch.
    »Solange ich der Hirte bin, werde ich nach meinem Gewissen handeln und entscheiden, mit einem einzigen Ziel: unserer Gemeinschaft das zurückzugeben, was Jesus ihr gegeben hat. Es soll allen wohl ergehen, aber die Sicherheit steht im Vordergrund. Gott will, dass wir leben und nicht, dass wir tot sind. Er braucht keine weiteren Märtyrer.«
    »Was wirst du mit ihnen tun?«, fragte Talat.
    »Sie werden eine Zeit zurückgezogen mit Beten und Fasten verbringen. Ich werde sie beobachten, und wenn ich glaube, dass der Moment gekommen ist, werde ich sie zurück zu ihren Fami lien schicken. Aber sie müssen für die Niederlage büßen. Du, Bakkalbasi, bist ein großer Mathematiker, und du wirst die Berechnungen anstellen.«
    »Was für Berechnungen, Addaio?«
    »Du sollst die Wahrscheinlichkeit ermitteln, ob es bei uns Spielraum für Verrat, ob es ein Loch gibt und wo es sein könnte.«
    »Dann nimmst du die Andeutungen von Zafarins Vater also ernst?«
    »Ja, wir sollten uns nicht gegen das Offensichtliche sperren. Wir werden den Verräter finden, und er wird sterben.«
    Die Männer wussten, dass Addaio nicht bloß daherredete.
    Als sie in den Raum zurückkamen, knieten die drei Stummen mit ihren Vätern auf dem Boden und beteten mit gesenktem Blick. Addaio und die schwarz gekleideten Männer setzten sich.
    »Erhebt euch«, befahl Addaio.
    Dermisat weinte lautlos vor sich hin. Rasit hatte einen Anflug von Zorn im Blick, und Zafarin schien sich beruhigt zu haben.
    »Ihr werdet die Niederlage durch Klausur und Beten und vierzigtägiges Fasten büßen. Ihr bleibt hier bei mir. Ihr werdet im Garten arbeiten, solange eure Kräfte ausreichen. Wenn die Zeit vorüber ist, werde ich euch sagen, was zu tun ist.«
    Zafarin sah seinen Vater besorgt an. Der verstand den Blick seines Sohnes und sprach für ihn.
    »Wirst du ihnen erlauben, sich von ihren Familien zu verabschieden?«
    »Nein. Die Sühne hat bereits begonnen.«
    Addaio ließ eine kleine Glocke auf seinem Tisch ertönen. Sekunden später erschien der Mann, der ihnen die Tür geöffnet hatte.
    »Guner, begleite sie zu Zimmern, die zum Garten hinausgehen. Such passende Kleidung heraus, und versorge sie mit Wasser und Säften. Das werden sie zu sich nehmen, solange sie bei uns sind. Du wirst ihnen auch die Stundenpläne und die Gepflogenheiten des Hauses erklären. Und jetzt geht.«
    Die drei jungen Männer umarmten ihre Väter. Der Abschied fiel kurz aus, um Addaio nicht zu verärgern. Als sie hinter Guner den Raum verließen, sprach Addaio zu den Vätern der drei:
    »Kehrt mit euren Familien in eure Häuser zurück. In vierzig Tagen werdet ihr von euren Söhnen hören.«
    Die Männer verbeugten sich, küssten seinen Ring und neigten respektvoll die Köpfe vor Addaios Begleitern, die reglos wie Statuen auf ihren Stühlen saßen. Anschließend verließen

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