Die stumme Bruderschaft
doch zu nichts. Bitte, Ana, jetzt vergiss diesen Brand und das Grabtuch.«
»Aber ich bin mir sicher, dass ich euch helfen kann.«
»Ana, das ist nicht mein Fall, sondern der des Dezernats für Kunstdelikte. Marco ist ein guter Freund, er glaubt, vier Augen sehen mehr als zwei, und deshalb hat er uns gebeten, einen Blick in die Papiere zu werfen, aber nur damit wir ein Statement abgeben. Das hat John gemacht und ich auch, und das war’s.«
»Aber Santiago, lass mich doch auch einen Blick in die Papiere werfen. Ich bin Journalistin, ich sehe Dinge, die ihr nicht seht.«
»Klar, ihr Journalisten seid die Klügsten, und ihr könnt unsere Arbeit besser machen als wir.«
»Quatsch, jetzt reg dich doch nicht auf.«
»Tue ich nicht, aber Ana, du sollst wissen, dass ich nicht zulasse, dass du deine Nase in Marcos Ermittlungen steckst.«
»Sag mir doch wenigstens deine Meinung.«
»Die Dinge sind einfacher, als sie manchmal aussehen.«
»Das ist keine Antwort.«
»Mehr wirst du von mir nicht zu hören bekommen.«
»Ich habe Lust, nach Rom zu fahren, vielleicht nehme ich ein paar Tage frei … Ist es recht, wenn ich jetzt komme?«
»Nein, es ist mir nicht recht, weil du nicht nach Rom kommst, um auszuspannen, sondern um deine Nase in Dinge zu stecken, die dich nichts angehen.«
»Du bist unerträglich.«
»Du auch.«
Ana schaute auf den Papierstapel auf ihrem Tisch, daneben ein Dutzend Bücher, alle über das Grabtuch Christi. Sie hatte sich tagelang mit dem Thema beschäftigt. Esoterische Bücher, religiöse, historische … Sie war sich sicher, dass der Schlüssel irgendwo in der Geschichte des Grabtuchs zu finden war. Marco Valoni hatte es selbst gesagt: Die Vorfälle hatten sich gehäuft, seit das Grabtuch sich in der Kathedrale von Turin befand.
Sie traf eine Entscheidung: Sobald sie sich genügend in das abenteuerliche Schicksal des Tuchs eingearbeitet hätte, würde sie ein paar Tage freinehmen und nach Turin reisen. Die Stadt hatte ihr noch nie besonders gefallen, aber irgendetwas sagte ihr, dass Valoni Recht hatte. Hinter den Vorfällen verbarg sich eine Geschichte, und diese Geschichte wollte sie schreiben.
23
»Eulalius, ein junger Mann möchte dich sprechen, er kommt aus Alexandria.«
Der Bischof beendete sein Gebet und erhob sich mühsam; der Mann, der ihn unterbrochen hatte, stützte ihn.
»Sag, Efren, was ist so wichtig an diesem jungen Mann, dass du mein Gebet unterbrichst?«
Efren, ein reifer bedächtiger Mann mit aristokratischem Gesicht, hatte die Frage erwartet. Eulalius wusste, dass er ihn niemals unterbrochen hätte, wenn es nicht wichtig wäre.
»Ein seltsamer Junge. Mein Bruder schickt ihn.«
»Abib schickt ihn? Und was bringt er für Nachrichten?«
»Ich weiß es nicht, er hat gesagt, er will nur mit dir sprechen. Er ist erschöpft. Er hat eine wochenlange Reise hinter sich.«
Eulalius und Efren verließen die kleine Kirche und betraten das daneben liegende Haus.
»Wer bist du?«, fragte Eulalius den dunkelhäutigen jungen Mann mit den aufgesprungenen Lippen und dem müden Blick.
»Ich suche Eulalius, den Bischof von Edessa.«
»Ich bin Eulalius, und wer bist du?«
»Gelobt sei Gott! Eulalius, ich habe dir etwas Außergewöhnliches zu berichten. Können wir unter vier Augen sprechen?«
Efren sah Eulalius an, und dieser nickte. Dann waren sie allein.
»Du hast mir deinen Namen noch nicht gesagt.«
»Johannes, ich heiße Johannes.«
»Setz dich, und ruh dich ein wenig aus, während du mir erzählst, was du für so außerordentlich hältst.«
»Das ist es. Es wird dir schwer fallen, mir zu glauben. Aber ich vertraue auf Gottes Hilfe, um dir beweisen zu können, was ich sage.«
»Fang an.«
»Es ist eine lange Geschichte. Ich habe dir gesagt, ich heiße Johannes. Mein Vater hieß auch so und der Vater meines Vaters und mein Urgroßvater und mein Ururgroßvater auch. Ich kann meine Herkunft bis in das Jahr 57 zurückverfolgen, als in Sidon Timäus lebte, der Führer der ersten Christengemeinde. Timäus war ein Freund von Thaddäus und Josar, Jünger unseres Herrn Jesus Christus, die hier in Edessa lebten. Timäus’ Enkel hieß Johannes.«
Eulalius hörte dem jungen Johannes zu, auch wenn ihm seine Worte ein wenig verworren erschienen.
»Du weißt, dass es in dieser Stadt eine Christengemeinde unter dem Schutz von König Abgarus gab. Maanu, Abgarus’ Sohn, hat die Christen verfolgt, ihnen ihren Besitz genommen, und viele haben schreckliche Qualen gelitten, weil
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