Die stumme Bruderschaft
Grabtuch zu tun hatte, und wir werden ihm dabei behilflich sein.«
»Natürlich, Hochwürden, ich werde versuchen, ihm die Liste so schnell wie möglich zu übergeben, aber bei dem derzeitigen Durcheinander wird es nicht leicht sein, einen freien Moment zu finden, um in den Archiven zu suchen. Sie wissen, dass wir noch nicht allzu viel auf Computer gespeichert haben.«
»Immer mit der Ruhe, Pater«, sagte Marco, »ich kann ein paar Tage warten, aber je früher ich diese Informationen bekomme, desto besser.«
»Hochwürden, darf ich fragen, was der Brand mit dem Grabtuch zu tun hat?«
»Ach, Pater Yves, seit Jahren frage ich Signor Valoni, warum er jedes Mal, wenn uns ein Unglück widerfährt, darauf besteht, dass es mit dem Grabtuch zu tun hat.«
»Mein Gott, das Grabtuch!«
Marco beobachtete Pater Yves. Er sah nicht aus wie ein Priester oder zumindest nicht wie die Mehrzahl der Priester, die er kennen gelernt hatte, und wenn man in Rom lebt, sind das nicht gerade wenige.
Pater Yves war groß, gut gebaut, athletische Figur; bestimmt betrieb er irgendeinen Sport. Er hatte nichts von der Weichlichkeit, die die Enthaltsamkeit und das gute Essen der Priester nach sich ziehen. Hätte Pater Yves kein Kollar getragen, hätte man ihn ohne weiteres für einen Manager halten können, der Wert darauf legt, stets fit und gut trainiert auszusehen.
»Ja, Pater«, sagte der Kardinal, »das Grabtuch. Aber glücklicherweise steht es unter dem Schutz unseres Herrgotts, denn es hat noch nie Schaden genommen.«
»Es geht nur darum, bei den Ermittlungen jede Spur zu verfolgen. Pater Yves, hier ist meine Karte, ich werde Ihnen auch meine Handynummer aufschreiben, dann können Sie mich anrufen, sobald Sie die Liste fertig haben, und falls Ihnen sonst noch etwas einfällt, das uns Ihrer Meinung nach bei unseren Ermittlungen dienlich sein könnte, lassen Sie es mich wissen.«
»Selbstverständlich, Signor Valoni, wird gemacht.«
Das Handy klingelte, und Marco ging sofort dran. Der Pathologe informierte ihn mit knappen Worten: Bei der verbrannten Leiche handelte es sich um einen Mann, etwa dreißig Jahre alt, nicht sehr groß, 1,75 Meter, schlank. Nein, er hatte keine Zunge.
»Sind Sie sicher, Doktor?«
»Ich bin so sicher, wie man es bei einer verkohlten Leiche sein kann. Sie hat keine Zunge, aber nicht infolge des Feuers, sondern sie ist herausgeschnitten worden. Fragen Sie mich nicht, wann, das ist schwer zu sagen bei dem Zustand des Toten.«
»Sonst noch etwas, Doktor?«
»Ich werde Ihnen den kompletten Bericht schicken. Ich habe Sie nur gleich nach der Autopsie angerufen, weil Sie es so wollten.«
»Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich bei Ihnen vorbeikomme?«
»Nein, überhaupt nicht. Ich bin den ganzen Tag hier, kommen Sie, wann Sie wollen.«
»Marco, was ist los mit dir?«
»Nichts.«
»Komm, Chef, ich kenne dich, du bist schlecht gelaunt.«
»Ach Giuseppe, irgendetwas stört mich, aber ich weiß selbst nicht genau, was.«
»Dafür weiß ich es: Dich beschäftigt genauso wie uns, dass wir es schon wieder mit einem Mann ohne Zunge zu tun haben. Ich habe Minerva gebeten, in ihrem Computer zu schauen, ob es irgendeine Sekte gibt, die Zungen abschneidet und Diebstähle begeht. Ich weiß, es klingt verrückt, aber wir müssen in alle Richtungen ermitteln, und Minerva ist ein Genie, wenn es um Internetrecherche geht.«
»Schon gut, jetzt sag mir, was ihr herausgefunden habt.«
»Vor allem, dass nichts fehlt. Sie haben nichts gestohlen. Antonino und Sofia versichern, dass sie nichts haben mitgehen lassen: Bilder, Leuchter, Figuren … All die wunderbaren Dinge, die es in der Kathedrale gibt, sind noch da, allerdings sind einige durch das Feuer in Mitleidenschaft gezogen worden. Die Flammen haben die rechte Seitenkanzel und die Kirchenbänke zerstört, und von der Madonnenfigur aus dem achtzehnten Jahrhundert ist nur noch Asche übrig.«
»All das wird wohl im Bericht stehen.«
»Ja, Chef, aber der Bericht ist noch nicht fertig. Pietro ist noch nicht aus der Kathedrale zurück. Er hat die Handwerker vernommen, die an der neuen Elektroinstallation arbeiten: Anscheinend ist das Feuer auf einen Kurzschluss zurückzuführen.«
»Schon wieder ein Kurzschluss.«
»Ja, Chef, genau wie ’97. Pietro hat auch mit der Firma gesprochen, die mit der Durchführung der Arbeiten betraut ist. Und er hat Minerva gebeten, im Computer alles über die Besitzer und nebenbei auch über die Arbeiter herauszusuchen. Einige von ihnen
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