Die Stumme - La Muette
versuchte zu fliehen, aber die Haustür war abgeschlossen. Ich sah den Mullah den ganzen Tag über nicht, und auch nicht nachts. Zunächst hoffte ich, er würde mich in Ruhe lassen. Aber in der zweiten Nacht kam er dann in mein Zimmer. Ich lag auf dem Bett. Bei seinem Anblick sprang ich auf und ging hinaus in den Hof. Er blieb eine Weile, dann verließ er den Raum wieder und ging in ein anderes Zimmer, ohne ein Wort zu sagen und ohne mich anzusehen. Erleichtert kehrte ich in mein Zimmer zurück; ich hatte mich in eine Ecke gekauert, als die Tür wieder aufsprang. Ich stand auf, und er verriegelte hastig die Tür, stellte sich vor mich. Es war das erste Mal, dass ich ihn wirklich sah. Er hatte seinen Turban abgenommen, trug aber noch immer das Gewand des Mullahs. Er war etwa fünfzig Jahre alt, hatte eine Glatze, einen breiten Nacken, das Gesicht und der Bauch waren dick, der Blick arglistig und lüstern. Er näherte sich mir, doch ich wich zurück. Da packte er mich; ich wehrte mich minutenlang.
Er warf mich auf die Matratze, und bevor ich mich aufrichten konnte, lag er schon auf mir. Er war schwer, und sein Atem roch nach verfaultem Fleisch. Ich spürte sein hartes Geschlecht unter dem Mullahgewand. Vor Angst war ich wie gelähmt und versuchte vergeblich, mich zu verteidigen. Er zog mir die Hosen aus, drang in mich ein. Ich empfand einen furchtbaren Schmerz, es brannte, ich spürte tiefe Scham. Währenddessen zappelte er auf mir herum, das Keuchen verstärkte seinen Mundgeruch, so dass ich mein Gesicht unter dem Kopfkissen verbarg, um ihn nicht zu riechen. Schließlich hörte er auf, zog sich zurück und legte sich für einige Sekunden neben mich, dann stand er auf, öffnete die Tür und verschwand. Meine Beine zitterten, zwischen meinen Schenkeln floss eine Mischung aus Blut und Sperma.
G estern Abend habe ich von meinem Wärter geträumt. Ich erinnere mich nicht mehr genau, aber ich war nicht im Gefängnis, sondern Verkäuferin in einem Geschäft. Er kam mit dem Auto vorbei, und ich sah ihn durchs Schaufenster. Beinahe hätte ich ihm von dem Traum erzählt.
Heute habe ich zwei Schaben getötet; normalerweise halten sie sich von mir fern, sie nehmen sich in Acht vor meinem mörderischen Instinkt; und zwar zu Recht, denn ich habe keine Angst mehr vor ihnen, obwohl ich noch vor einem Jahr allein beim Anblick einer Schabe von einer entsetzlichen Angst gepackt wurde. Sie wissen inzwischen, dass ich die Herrin in dieser Zelle bin.
Am Tag nach meiner Entjungferung stellte mich seine zweite Frau der ersten vor, die im größten Raum des Hauses lebte, wobei sie ihr erklärte, dass von nun an ich mit ihrer Pflege betraut war. Vor mir lag eine alte
gelähmte Frau, die einen Schlaganfall gehabt hatte. Der Mullah verlangte, dass jede Aufgabe perfekt ausgeführt wurde, er selbst hatte die Verteilung der Haushaltspflichten zwischen den Frauen vorgenommen. Seine zweite Frau profitierte vom Anciennitätsprinzip. Sie reichte mir einen Zettel, auf dem zwei Listen standen. Sie kochte, putzte das Büro des Mullahs, ihr gemeinsames Schlafzimmer sowie den Hof und sprengte die Bäume und Pflanzen. Ich war für die Pflege der ersten, invaliden Frau zuständig und sollte die Toiletten und mein Zimmer sauber halten. Es gab eine Waschmaschine und eine Spülmaschine. Vor meiner Ankunft, sagte sie, habe sie sich um alles gekümmert, auch um die Alte, und sie sei nicht eifersüchtig auf mich, denn meine Anwesenheit würde ihr erlauben, nun ein wenig zu verschnaufen. Stolz fügte sie hinzu, dass der Mullah unsere Hochzeitsnacht bei ihr verbracht habe, um sie zu ehren und ihr zu beweisen, dass ich ihr nicht den Rang streitig machte. Aber da ich inzwischen entjungfert worden war, musste ich als seine dritte Frau die Aufgaben übernehmen, die mir zufielen.
»Er hat ein fein entwickeltes Gerechtigkeitsgefühl und behandelt seine Frauen als vollkommen ebenbürtig«, bemerkte ich ironisch.
Aber sie begriff nicht und stimmte mir zu: Ja, ganz genau. Ich kehrte in mein Zimmer zurück und verließ es für den Rest des Tages nicht mehr. Am Abend kam der Mullah an meine Tür. Ich rollte die Matratze aus und legte mich darauf, um es so schnell wie möglich hinter mich zu bringen. Aber er blieb stehen und sagte:
»Du hast nur jede zweite Nacht ein Recht darauf.«
Ich wollte ihn am liebsten beschimpfen, stand dann aber wortlos auf. Er fuhr fort:
»Du hast dich heute nicht um meine erste Frau gekümmert, dabei hat Zahra dir doch die Liste mit
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