Die stummen Götter
glaube, neben dem Problemator war Bergander der einzige, der einigermaßen die Fassung behalten hatte. Vielleicht mußte man überhaupt so alt wie Baskow oder ebensojung wie Bergander sein, um solche Sachen einigermaßen angebracht verarbeiten zu können. Ich jedenfalls konnte es nicht. Gossel auch nicht und wohl auch nicht der Leutnant.
„Muß denn das jetzt unbedingt sein?!“ fauchte ich sogar Ber gander an, als der ungerührt damit begann, den Leichnam auf Bildspeicherfolie festzuhalten, von schräg oben, von hinten, von allen Seiten.
„Wir werden ihn doch nicht lange hier liegenlassen“, gab mir der Elektroniker beinahe sanft zurück. „Und es könnte vielleicht wichtig sein, genau zu wissen, wie er lag, ich meine, in welcher Richtung und in welcher Stellung.“
„Ja, ja!“ rief ich. „Ja, verdammt noch mal!“ Er hatte wirklich recht, doch ich konnte mir nicht helfen. Ein stiller und beruhi- gender Blick des Problemators traf mich. Ich trat zu ihm hin, direkt an den Rand der Felsplatte, und holte tief Luft. „Ver zeihung“, murmelte ich dann. „Die Nerven.“
„Schon gut“, sagte Baskow. „Sie haben noch nicht viele Tote gesehen, nicht wahr.“
„Nicht sehr viele“, gab ich zu. „Aber vor allem noch keinen, der mitten durchgehauen worden ist.“
„Viecherei!“ sagte Gossel. Auch er war herangetreten. „Man kann einem Mann den Schädel einschlagen im offenen, ehrlichen Kampf. Das ist zwar schlimm genug, aber damit kann man sich abfinden. Jemanden jedoch so zuzurichten, und dann auch noch die Hände danebenzulegen... mir reicht es.“
„Du bist so sicher, Gossel“, sagte der Problemator rätselhaft. „So schrecklich sicher.“ Und da hatte er doch tatsächlich schon wieder das Fernglas an den Augen und schaute über die Ebene hin, als wäre da gar nichts passiert.
„Ich versteh’s nicht“, sagte Kraneis dann. Er hatte sich vor den Toten hingekniet und ihn wohl länger betrachtet als wir alle. „Wie mit der Axt durchgehauen. Besser noch: mit einem Rasier messer. Ein haarscharfer Schnitt. Und die Unterarme sind in genau der gleichen Höhe abgetrennt worden wie der Körper. Und kein Blut. Das hätte doch nur so sprudeln müssen. Da, ein Zipfel der Leber. Es sieht aus wie ein Demonstrationspräparat in einem anatomischen Institut.“
Er hatte recht. Ich hatte das noch gar nicht bemerkt. Es war unheimlich und unfaßbar.
Bergander war endlich fertig mit seiner Ablichterei, und er meinte plötzlich: „Da wird es wohl nichts sein mit der Scha blonentheorie des Chefs. Die Multis sind weit draußen über der Ebene von den Schlieren gepackt worden, und explodiert sind sie ja erst, als sie unten aufschlugen. Aber der Mann kann auch nicht hier heraufgeschleudert worden sein: dafür sind die Entfernungen alle viel zu groß. Sie sind also wirklich transpor tiert worden. Warum aber dieser nur halb?“
„Da mußt du Kraneis fragen“, warf daraufhin der Problema tor völlig unerwartet und ohne sich dabei umzusehen oder auch nur das Glas einmal abzusetzen zu uns hin. „Frag ihn und seinen Werfer.“
„Was denn?“ schrie der Leutnant auf und stand wie zu Stein erstarrt.
„Ich meine es nicht böse“, sagte Baskow aber. „Du kannst nichts dafür. Niemand kann etwas dafür. Dein Feuerschlag kam dazwischen, das ist alles.“
Ich wagte meinen Ohren nicht zu trauen. „Sie meinen“, fragte ich, „der Teletransport wurde durch den Antimateriebeschuß unterbrochen, und sie haben den Mann hier zur Hälfte liegen lassen müssen oder auch im Fluge verloren, wie ein Habicht eine Maus fallen läßt, wenn ihn etwas erschreckt?“
„So ungefähr“, entgegnete der Problemator. „Und Teletrans port oder Schablonentheorie – das ist alles so ziemlich gleich, wenn auch nach wie vor unerhört und eigentlich unglaublich. Wenn aber, dann kann auch Castor immer noch recht haben. Eine unvollständige Reproduktion in allerletzter Sekunde und in höchster Not sozusagen. Doch das würde bedeuten, bedeu ten würde das...“ Und er sagte, den Tonfall abrupt ändernd: „Na also, da ist es ja!“
Ich dachte im ersten Augenblick, er würde irre reden, doch dann reichte er mir schweigend das Glas und wies mir die Richtung.
Ich entdeckte es auf Anhieb, weit voraus und im flimmernden Glast der heißen Luft über den Bergflanken hin und her tanzend wie das Licht eines Sternes in bewegter und aufgewühl ter Atmosphäre. Es war ein weiterer dieser Metallzylinder, ge nauso einer, wie wir ihn hier zerstört
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