Die stummen Götter
mit ihnen, wenn Sie so wollen. Er lebt und wird ernährt. Wenn wir zurück an Bord sind, werde ich die Atomgitterstrukturen untersuchen müssen und die Bindungsenergien feststellen. Jedenfalls ist das ganz unglaublich. Kein Mensch hat jemals so etwas ge sehen. Diese Pflanzen hier verfügen nicht nur über ein nor males Energieabsorptionsvermögen, sondern sie können sich auch reflektorisch einstellen. Ich habe es ja schon unten an der Küste gesagt.“ Er baute mit flinken Händen eine kleine Appa ratur auf und erklärte mir, daß es sich um eine Mini-Kobaltkanone handle, die er da in Betrieb setzen und deren Strahlung er auf ein Stückchen dieser Tantaluskakteen abschießen wollte. Und das tat er auch.
Ich beobachtete mit ihm die an der Probe angebrachten Ther mometer, sah die Temperatur auf zweihundertachtzig, drei hundert Grad hinaufschnellen, sah, wie sich das Außengewebe blasig auflöste, zu schwelen und zu kohlen begann, beißender Rauchgeruch stieg auf, und dann kam der Kieselpanzer silbrig zum Vorschein. Das verbrannte Gewebe fiel flockig von ihm ab, und im gleichen Augenblick sanken die Temperaturen an seiner Oberfläche in den Normalbereich. Statt dessen glomm es auf der Anzeigeskala eines Dosimeters, das seitlich neben der Strahlungsquelle angebracht war, in düsterem Rot auf.
„Er reflektiert“, sagte Nordin. „Er reflektiert zu neunundneun- zigkommaacht Prozent die gesamte Strahlung vom Infrarotbereich an, mit einer Lücke im sichtbaren Spektrum, bis hinauf in die Gammafrequenzen.“
Dann kam das Erstaunlichste. Er stellte die skelettierte, nackt und irgendwie anklagend-geschunden wirkende Pflanzenprobe in ein hohes Petriglas mit Nährsalzlösung, und in Minuten schnelle kam es grünlich-violett direkt aus dem Siliziumpanzer hervorgekrochen, wie dünne, kaum wahrnehmbare feine Seidenfäden zuerst, dann quallig, knäuelig, sich rasch ausbreitend und glättend, eine völlig intakte, allseitig geschlossene neue Oberhaut, die zum Schluß wieder in dem gewohnten feierlichen Violett erstrahlte.
„Das schafft die Pflanze allerdings nur zwei oder drei Mal, hier im Labor, meine ich“, erklärte mir der blonde Riese. „Es ist ja eigentlich schon ein bereits halbtoter Organismus. Draußen aber, am freien Standort – ich möchte wetten, sie könnten eine Wasserstoffbombe über ihnen entzünden, und wenn sie nicht gerade im Epizentrum steht oder die Druckwelle sie nicht von den Wurzeln reißt, sie würde es überstehen. Was sie aber mit den nullkommazwei Prozent Reststrahlung anfängt, das kriege ich auch noch heraus. Vielleicht wandelt die Pflanze sie um und nutzt sie für den eigenen Energiehaushalt. Jedenfalls sind diese Kandelaberstalagmiten um ein erhebliches effektiver in ihrer Strahlungsabwehr als die Gewächse unten an der Küste.“
„Sie wachsen hier auch in höherer Lage und deshalb sicher un geschützter“, fügte ich hinzu.
Er lächelte kurz. „Natürlich ist das der Grund. Das selektive Prinzip der Natur.“ Er schloß einen Moment wie träumend die Augen. „Können Sie sich das vorstellen?“ fragte er dann. „Wenn es gelänge, aus dieser spezifisch determinierten Kieselsäure Schutzpanzer herzustellen für Menschen oder Gerät – bis in die tiefsten Vulkanschlünde könnte man tauchen, vielleicht sogar den Fuß setzen auf die Oberfläche aktiver Sonnen. Was aber tun wir? Blind daran vorbeifahren, und alle Warnungen, die uns dieses Stück Natur hier in die Ohren schreit, achtlos in den Wind schlagen.“ Er war nun wieder sehr bitter geworden und wandte sich ab.
Ich empfand eine tiefe Anteilnahme für ihn in dieser Stunde. Vielleicht sogar wünschte ich mir, es möchte mir gelingen, ihn mir zum Freund zu gewinnen. Und daran änderte auch die Tatsache nichts, daß ich das, was er da soeben vom „Fußsetzen auf aktive Sonnen“ gesagt hatte, doch für ein wenig überspannt hielt, einfach für den typischen Wunschtraum manches Wissenschaftlers, der es verstanden hatte, sich eine Spur von Romantik zu bewahren in seinem Verhältnis zu der Fachdisziplin, mit der er sich beschäftigte. Ich mochte diesen Nordin, so wie er sich darstellte in den letzten Stunden, die er noch unter uns weilte. Ich mochte diesen ernsten, mutigen, von seinem Gewissen ge plagten und vom Verantwortungsgefühl fast erdrückten Mann. Ich hätte sonst etwas dafür gegeben, wenn es mir gelungen wäre, noch zu allerletzt einen Weg zu seinem Herzen zu finden. Doch auf unserem nächsten Rastplatz bereits griff Spica
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