Die Stunde der Gladiatoren
schulterlange Haar, ehemals brünett, war bereits am Ergrauen, die Lockenpracht, auf die sie so stolz gewesen war, durch einen Haarreifen gebändigt. Verschwunden war das Funkeln ihrer dunklen Augen, verstummt ihr Lachen, abhandengekommen auch das Temperament, von dem sich das seinige stets unterschieden hatte. Die ihm da in die Augen sah, verbissen, verhärmt und auf Biegen und Brechen auf das Wohlergehen ihres Sohnes bedacht, war eine gänzlich andere Frau geworden, Abbild einer römischen Matrone, die ihre Aufgabe darin sah, für das Wohlergehen ihrer Familie zu sorgen. »Publius â bist du bitte so gut und lässt uns allein?«
Der Junge nickte und verschwand.
*
»Darf man fragen, was du vorhast, Bruder?«
»Nichts, vor dem du dich fürchten müsstest.«
»Da bin ich aber froh!«, gab Varros Schwester zurück, presste die Lippen aufeinander, bis die Farbe aus ihnen wich, und blickte ausgesprochen finster drein. »Auf Ratschläge kann ich nämlich verzichten.«
»Auch dann, wenn es sich um gut gemeinte handelt?«, erwiderte Varro und fuhr, ohne seine Schwester zu Wort kommen zu lassen, fort: »Wie dem auch sei: Das Thema Gladiatoren ist einstweilen erledigt.«
»Denkst du!«
Varro biss die Zähne zusammen und erhob sich. »Ob du es glaubst oder nicht â das Schicksal des Jungen liegt mir am Herzen. Nicht zuletzt deshalb, liebe Schwester, habe ich mir die Freiheit genommen, ihm ein wenig von früher zu erzählen.«
»Ich hoffe, du hattest Erfolg damit.«
Die Stirn in Falten, atmete Varro tief durch, rief nach Dromas und sagte: »Das wird sich zeigen. Was die Spiele betrifft, denke ich, hat Publius Vernunft angenommen. Kopf hoch, Aurelia! Noch ist nicht aller Tage Abend.«
»Dein Wort in der Götter Ohr, Gaius!«
»Und deines in dem von Publius«, antwortete Varro und ergänzte: »Du entschuldigst mich, Schwester. Ich habe zu tun. Falls möglich, möchte ich heute nicht mehr gestört werden.«
»Alles, was recht ist, Gaius: Das kannst du nicht machen. Der Kaiser feiert Jubiläum, und ausgerechnet du tauchst nicht auf!«
»Ich sagte doch, ich habe â¦Â«
»Jetzt hör mir mal gut zu, Gaius!«, trumpfte Varros Schwester auf und schüttelte missbilligend den Kopf. »Bücher sind nicht alles. Darf ich dir einen Rat geben, Bruder?«
»Bemühe dich nicht, Schwester«, hielt Varro energisch dagegen, ein schelmisches Lächeln im Gesicht. »Auf Ratschläge kann ich nämlich verzichten.«
»So nimm doch Vernunft an, Gaius! Ein Tag wie heute kommt so schnell nicht wieder.«
»Zum allerletzten Mal, Aurelia: Du kannst dir die Mühe sparen. Ich bin die ganze Zeit nicht zu den Spielen gegangen, warum ausgerechnet heute?« Müde der Querelen, wurde Varros Geduld aufs ÃuÃerste strapaziert. »Was mich betrifft, Schwesterherz, können mir meine Ratskollegen, die Spiele und sämtliche Gladiatoren von Treveris gestohlen bleiben. Ich werde mich jetzt in mein Studierzimmer zurückziehen, wehe, es stört mich jemand bei der Arbeit!«
»Und was, wenn es etwas Wichtiges â¦Â«
»Und wenn es der Kaiser persönlich ist â ich bin für niemanden zu sprechen!«
Eine Stunde nur, und Gaius Aurelius Varro, Anwalt der Rechte, würde seinem Vorsatz untreu werden.
âºJulius Balerianus, der 20 Jahre gut gelebt hat, ist an seinem Geburtstag gestorben. Ein Kamerad, gut, beliebt, ein Freund bis zum Grab.â¹
(Inschrift auf dem Grabstein eines Retiarius)
LIBER SECUNDUS
III
Stadtzentrum, kurz vor Beginn der vierten Stunde
[07:50 h]
Unter den wenigen, die in aller Frühe unterwegs waren, blieb Aspasia stehen, sah sich um und hetzte weiter. Kein Zweifel, die Schankwirtin, nach übereinstimmender Meinung eine Augenweide, hatte Angst. Angst vor dem Mann, der damit gedroht hatte, sie umzubringen. Angst vor dem Schnüffler, den sie gerade abgeschüttelt hatte. Furcht vor den Konsequenzen, welche das Vorhaben, einen Anwalt zu konsultieren, nach sich ziehen würde. All das, die Sorge um ihre Tochter mit eingeschlossen, war jedoch längst kein Grund, klein beizugeben. Sie würde sich zur Wehr setzen, falls nötig auch ohne fremde Hilfe.
Ãber Mangel an Sorgen, vor allem solchen materieller Art, konnte sie sich ohnehin nicht beklagen. Und das hing nicht nur damit zusammen, dass ihr Mann, der Legionär
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