Die Stunde der Gladiatoren

Enttäuschung reicher, begnügte sich Probus mit einem Nicken.
    Â»Wie schön.« Die Handkante über den Brauen, um das Sonnenlicht abzuwehren, trat Varro aus dem Schatten und sah sich nach allen Seiten um. »Hier muss es irgendwo sein.«
    Â»Was denn?«
    Â»Ah ja – da drüben. Komm, Probus, es ist nicht weit!« Ohne eine Erklärung abzugeben, umklammerte Varro seinen Stock und schlug den Weg zu den auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes gelegenen Läden ein. »Ich denke, es ist an der Zeit, jemand ganz Bestimmtem einen Besuch abzustatten – wobei ich bezweifle, dass dieser Jemand erfreut sein wird!«

    *

    Unter den Büsten, welche die Marktbasilika zierten, befand sich auch diejenige der Justitia, die Waage in der linken, das Füllhorn in der rechten Hand. Laut Augustus, dessen Tatenbericht zu Varros Lieblingslektüre zählte, gehörte sie zu den vier Herrschertugenden, und was für den ersten Kaiser galt, war für den Anwalt, der die Dinge unvoreingenommen zu betrachten hatte, eine Selbstverständlichkeit. Wollte man etwas gelten, musste man Rückgrat besitzen, Vertrauen in den Ratschluss der Götter haben, Milde walten lassen und Gerechtigkeit gegenüber jedermann üben. Das traf, so Varros Credo, nicht nur für die Juristerei, sondern auch für den Umgang mit den Mitmenschen zu. Um ein Urteil fällen zu können, durfte man sich nicht an Äußerlichkeiten orientieren, weder an Roben noch am Aussehen und schon gar nicht an der Kunst der Rede, die so mancher, der etwas ausgefressen hatte, perfekt beherrschte. Ein Schuft war und blieb nun einmal ein Schuft, und nichts, weder Kleidung noch selbstsicheres Auftreten, machte einen guten Menschen aus ihm.
    Was Lupicinus anging, schien das Fazit, zu dem Varro im Verlauf seines Advokatendaseins gelangt war, nicht recht zu taugen. Der Geldwechsler war nicht nur ein Schuft, sondern er sah auch so aus. Er war klein, sehr klein sogar, weit über 60 und hatte einen verkrümmten Rücken. Und er sah, höflich gesagt, überaus ungepflegt aus. Noch lange kein Grund, voreilige Schlüsse zu ziehen, wusste er doch nur zu gut, dass Halunken mitunter in Prachtroben gehüllt waren.
    Diese trug Lupicinus, Gerüchten zufolge kein unbeschriebenes Blatt, zwar nicht. Ein Schurke, vor dem es sich zu hüten galt, war er aber trotzdem. Zugegeben, der Geldwechsler war alt und missgestaltet, vor allem aber war er hinterhältig, ein Heuchler, wie er im Buche steht, und so gerissen, dass man sämtliche Register ziehen musste, um ihn festzunageln. Wider alle Grundsätze, welche sich Varro zu eigen gemacht hatte, war ihm der Armenier auf Anhieb unsympathisch gewesen, und es gab nichts, was geeignet war, seine Antipathie abzumildern.
    Â»Niger, nie gehört.« Dies fing, milde ausgedrückt, schon damit an, dass jedes zweite Wort von Lupicinus gelogen war. Und hörte damit auf, dass er glaubte, Varro aufs Glatteis, um nicht zu sagen hinters Licht, führen zu können. »Ist das jemand aus Treveris?«
    Â»Nein – aus Afrika .« Varro musste wider Willen schmunzeln. Von Probus, der seine Aversion zu teilen schien, konnte man sich eine Scheibe abschneiden, und es war beruhigend, ihn an seiner Seite zu wissen. »Falls dir das etwas sagt.«
    Â»Ob du mir glaubst oder nicht, Herr – das tut es.« Zu gewieft, um sich aus der Reserve locken zu lassen, ging Lupicinus über die Provokation hinweg, setzte die Miene auf, der er seinen Spitznamen verdankte und schlug einen Tonfall an, bei dem sich Varro die Nackenhaare sträubten. »Was Geografie betrifft, kenne ich mich aus.«
    Â»Fast so gut wie bei krummen Dingern, stimmt’s?«
    Â»Aber, aber, Medicus – geht das nicht ein bisschen weit?« Rein äußerlich die Ruhe selbst, gab Lupicinus den Gelangweilten. Am Eindruck, den Varro von ihm gewann, änderte dies jedoch nichts. Die Frage lautete, was er zu verbergen hatte.
    Und wie viel.
    Â»Jeder geht so weit, wie er kann, oder?« Wie geschaffen für heikle Situationen, ließ sich Probus nicht den Wind aus den Segeln nehmen. »Nur so kommt man im Leben weiter.«
    Â»Danke für den Rat, Herr – aber ich kann nicht klagen.«
    Â»Das sieht man.«
    Â»Darf man fragen, wie das gemeint ist, Dekurio?«
    Â»Wie ich es sage, Lupicinus«, konterte Varro, nicht willens, sich in die Defensive drängen zu lassen.