Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Stunde der Hexen - Midnight Hour 4 - Roman

Titel: Die Stunde der Hexen - Midnight Hour 4 - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
die Rädchen in seinem Gehirn drehten, während er seine Antwort überdachte, etwas sagen wollte und es dann wieder verwarf.
    »Ich bleibe«, sagte er schließlich. »Zum Teufel, mach, was immer du willst, aber ich laufe nicht weg.« Er ging aus dem Zimmer.
    Es war komisch, aber diese Pause gab mir Gelegenheit, Luft zu holen und zu erkennen, dass er Recht hatte. Es war die Wölfin gewesen, die den Kopf verloren hatte, und sie befand sich dicht an der Oberfläche und ließ alles um mich herum vor meinen Augen verschwimmen. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen.
    Ich setzte mich aufs Bett und steckte den Kopf zwischen die Knie, während ich immer wieder tief einatmete. Mich zusammenriss.
    Ich rief nach ihm, wobei meine Stimme viel zu wehleidig klang. Betteln müssen wollte ich nicht. »Ben, wir können nicht hierbleiben. Sie werden uns umbringen.«
    Er tauchte wieder im Türrahmen auf, ohne auch nur im Geringsten zugänglicher oder mitfühlender zu wirken.
Vielleicht bekamen wir hier noch unseren eigenen kleinen Bürgerkrieg zustande.
    »Nein, das werden sie nicht«, sagte er. »Du meinst, ich hätte das Schlimmste noch nicht gesehen, dabei hast du keine Ahnung, was ich gesehen habe oder nicht. Und ich kann mich um mich selbst kümmern, gleichgültig, was dein Alphagetue dazu zu sagen hat. Wir haben Waffen. Wenn wir uns ihnen widersetzen, werden sie uns in Ruhe lassen. Ich bin gewillt, Widerstand zu leisten, selbst wenn du es nicht bist. Ich lebe hier. Ich werde nicht nach Pueblo abhauen, bloß weil du ein Angsthase bist und deinen Schwanz eingezogen hast. Und ich hasse es, dass das nicht mehr nur eine Metapher ist.« Er fuhr sich mit den Händen durch die Haare. Mittlerweile atmete er schwer und roch ein bisschen mehr nach Wolf als nach Mensch.
    Ich schaffte es nicht, mich zusammenzureißen. Ich hörte nicht auf die Stimme der Vernunft. Das Zweierrudel zerfiel. Nein, tat es nicht. Dies war lediglich eine Pause, ein winziges Problem.
    »Sind wir ein Rudel oder nicht?«, fragte ich.
    Leise sagte er: »Ich weiß es nicht.«
    Es war eine Art Offenbarung, dass der Fluchtinstinkt stärker war als das Bedürfnis, bei ihm zu bleiben. Ihn zu verteidigen. Wie er schon gesagt hatte, konnte er selbst auf sich achten. Er hatte Waffen auf seiner Seite.
    Den Seesack über der Schulter marschierte ich hinaus.

Neun
    Ich fuhr Richtung Süden. Ich hatte das schon einmal getan. Weglaufen, meine Familie im Stich lassen, KNOB, alles. Ich musste mir die Frage stellen: Was war so wichtig, was war so traumatisch, dass es wert war, all das aufzugeben?
    Nichts, lautete die offensichtliche Antwort, glasklar. Nichts war es wert, all das aufzugeben. In der Beziehung war eine Auseinandersetzung mit Carl ein kleiner Preis, den ich zu zahlen hatte, um am Leben zu bleiben. So oder so riskierte ich, alles zu verlieren.
    Vielleicht bog ich deshalb vom Interstate Highway auf den Highway 50 ab und fuhr nach Westen auf Cañon City zu. Ich ging in das Gefängnis, ließ die Sicherheitsroutine über mich ergehen und wartete in dem öden, stinkenden Raum auf Cormac. Diesmal gab ich mir nicht die Mühe, fröhlich zu erscheinen.
    Ich hatte sonst keinen, mit dem ich reden konnte.
    In seinem orangefarbenen Overall, mit ausdruckslosem Gesicht setzte er sich und griff nach dem Hörer der Sprechanlage. Mit kurzer Verzögerung tat ich das Gleiche. Doch selbst dann starrten wir einander einen langen Moment nur an. Er war sauber, sah gesund aus, seine Haare und der Schurrbart waren frisch zurechtgestutzt. Ja, er
sah sogar ausgeruht aus. Das kam davon, wenn er einmal eine Zeit lang nicht in Schwierigkeiten geriet.
    »Hi«, sagte ich.
    »Ich habe nicht mit dir gerechnet«, sagte er. »Was ist los?«
    Beinahe hätte ich gelacht. Instinktiv hätte ich am liebsten geleugnet, dass etwas los war, doch das wäre eine dicke Lüge gewesen. Ich wandte den Blick ab und fragte mich, wie schlimm ich tatsächlich aussah.
    »Ist es so offensichtlich?«
    »Ja«, sagte er.
    »Jedes Mal, wenn wir zu Besuch kommen, macht Ben viel Aufhebens darum, dass wir gut drauf sein müssen. Wir müssen fröhlich sein, um dir zu helfen, um dich bei Laune zu halten. Aber ich muss wirklich mit dir reden.«
    »Mach dir keine Sorgen um mich. Rede, wenn du es nötig hast.«
    »Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.«
    »Ben hat mir von der Fehlgeburt erzählt. Es tut mir leid.«
    Einen Moment lang war ich wütend auf Ben, weil er etwas gesagt hatte. Aber wahrscheinlich musste er es jemandem erzählen,

Weitere Kostenlose Bücher