Die Stunde der Hexen - Midnight Hour 4 - Roman
zugeschnürt, ich hatte meine Stimme verloren.
»Kitty?«, drängte Hardin.
»Sie hätte nicht dort sein sollen«, zwang ich mich zu sagen. Die Anstrengung ließ meine Stimme angespannt klingen, kurz vor dem Überschnappen. »Sie hätte in einem Flugzeug sitzen sollen. Sie ist diejenige, von der ich Ihnen gestern Abend erzählt habe.« Sie hätte jetzt frei sein sollen.
Sanft zog Hardin mir das Foto aus der Hand und legte es zu den anderen zurück. »Das ist eigenartig. Sie ist etwa sieben Stunden früher als die anderen gestorben. Man hat zwar ihre Leiche dort zurückgelassen, aber sie ist nicht mit den anderen umgekommen.«
Nein, Carl hatte sie vorher umgebracht und dann bei den anderen abgeladen. Ich musste annehmen, dass es Carl gewesen war. Vielleicht hatte er bei den Übrigen Hilfe gehabt, doch Jenny hatte er ganz allein getötet. Bloß wie hatte er sie gefunden? Wie hatte sie sich von ihm finden lassen? Wie hatte er sie an der Flughafen-Security vorbeigeschmuggelt?
Erst langsam dämmerte mir, was die restlichen Fotos andeuteten; eine Schockwelle nach dem ursprünglichen Schlag, den mir der Anblick von Jennys Leiche versetzt hatte: Ricks Coup war fehlgeschlagen. Vielleicht handelte es sich bei einem dieser Aschehäufchen um ihn. Ich konnte nicht wissen, ob er gestorben war. Vielleicht würde ich es nie herausfinden. Sieben Lykanthropen, drei Vampire - das waren beinahe alle.
»Sind es alles Wölfe?« Ricks Anhänger Dack hatte ich
nie in Menschengestalt zu Gesicht bekommen, weshalb ich nicht wissen konnte, ob er unter den Leichen war. »Ist auch eine andere Lykanthropengattung dabei gewesen?«
»So gut sind die Tests nicht. Ich kann Ihnen sagen, ob es sich um Lykanthropen gehandelt hat oder nicht. Nicht welche Art. Noch nicht.«
»Was ist passiert?«, fragte ich leise, obwohl ich es bereits erraten konnte. Ich wusste es längst.
»Diese sieben starben an Wunden, die ihnen von anderen Werwölfen zugefügt worden sind. Man hat ihnen praktisch das Herz aus dem Leib gerissen.« Sie gruppierte fünf Fotos zusammen, diejenigen mit den schlimmsten und blutigsten Verletzungen. Ein Lykanthrop konnte viel überleben, aber nicht das. »Bei diesen dreien sind die Bisse kleiner, von der Größe eines menschlichen Gebisses, und die Opfer sind am Blutverlust gestorben. Vampire, nehme ich an. Es sind ein paar Anrufe nötig, um das zu bestätigen. Was ich nicht weiß: Haben sie demselben Rudel angehört, oder sind es Mitglieder von zwei verschiedenen Rudeln gewesen, die in Konflikt geraten sind? Mischen sich Vampire je in derlei Angelegenheiten ein? Was können Sie mir darüber sagen?«
Es ging nicht mehr nur um die Reviere der Vampire und Werwölfe; eine dritte Kraft war mit von der Partie: der Gesetzesvollzug. Wie würde Hardin damit umgehen, dass sich so etwas in ihrem Revier ereignete? Ich wollte nicht, dass sie sich einmischte. Sie und ihre Leute waren dem nicht gewachsen. Oder vielleicht doch? Sie trat dem Ganzen offen gegenüber. Sie hatte sich weitergebildet. Sie verfügte über Silberkugeln.
Vielleicht wollte ich nicht mit ansehen, was passieren würde, wenn sie sich in den Schlamassel einmischte und der Sache gewachsen war .
»Detective, wenn ich es Ihnen sage, müssen Sie mir versprechen, dass Sie sich raushalten. Dass Sie Ihre Leute zurückhalten.«
»Das kann ich nicht versprechen«, sagte sie mit einem Kopfschütteln. Offensichtlich war sie gekränkt. »Ich habe hier Mordopfer, von oben wird mir Druck gemacht. Was soll ich meinen Vorgesetzten sagen? Die Werwölfe sind im Moment bloß ein bisschen gereizt?«
»Mit so etwas haben Sie es noch nie zu tun gehabt. Das müssen Sie mir glauben.« Was konnte ich ihr sagen, das sie veranlassen würde, einen Rückzieher zu machen? Nichts. Rein gar nichts. Deshalb war sie so ein guter Cop.
Ich wollte nicht, dass die Polizei sich einmischte. Das Ganze würde sich zu einem Kampf gegen verschiedene gegnerische Seiten entwickeln. Ich wollte mir nicht noch den Kopf über eine weitere Frontlinie zerbrechen müssen. Arturo sollte nicht zu dem Schluss kommen, dass Hardin ebenfalls eine Konkurrentin darstellte. Ich wollte nicht, dass er sie in Gefahr brachte.
»Kitty, ich möchte das hier begreifen. Um es zu verstehen, brauche ich Ihre Hilfe.«
Allerdings wäre sie vielleicht auf meiner Seite. Eventuell konnte sie mir helfen, herauszufinden, was mit Rick geschehen war. Vielleicht hatte sie die Lösung: alle ins Gefängnis stecken.
Am liebsten wäre ich davongerannt.
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