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Die Stunde Der Jaeger

Die Stunde Der Jaeger

Titel: Die Stunde Der Jaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Vaughn
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niemals gefunden. Er lag sehr gut versteckt.
    Vor uns, am Ende der Schlucht, stand eine Hütte aus Baumstämmen, deren Fugen mit Lehm ausgefüllt waren. Sie war achteckig – beinahe rund –, sah uralt aus und hatte ein tief nach unten abfallendes Dach.
    Wir stiegen alle aus dem Wagen, und Louise eilte vor uns her.
    Sie sagte: »Dieser Hogan gehörte vor Jahren meiner Familie, früher. Alle haben ihn vergessen. Aber ich habe ihn wiederentdeckt. Er wird uns Schutz bieten.«
    Â»Schutz vor was?« Das schien mir eine offensichtliche Frage zu sein.
    Sie warf mir einen Blick über die Schulter zu.

    Ben war derjenige, der antwortete: »Wenn du das noch fragen musst, hast du nicht aufgepasst.«
    Â»Wollte bloß ein bisschen Konversation betreiben.«
    Er griff nach meiner Hand und drückte sie leicht, bevor er wieder losließ und weiterging. Eine kurze tröstende Berührung.
    Der Schauplatz, den wir hier betraten, stammte aus einer anderen Welt, aus einem Reiseführer oder vielleicht einem Anthropologiebuch: die Wüste, der kalte Wind, die runde Hütte, die vielleicht schon seit Jahrzehnten dort stand. Ich hob den Blick in der Erwartung, Geier über uns kreisen zu sehen. Doch da war nur klarer blauer Himmel.
    Louise schob eine ausgeblichene Decke beiseite, die über dem Eingang hing, und bat uns mit ihrem gespannt starrenden Blick einzutreten.
    Der Hogan war dunkel und hatte keine Fenster, abgesehen von einer Öffnung in der Decke, durch die ein Sonnenstrahl fiel. Mein lykanthropisches Sehvermögen gewöhnte sich schnell an die Lichtverhältnisse. Die Hütte bestand aus einem einzigen, beinahe kahlen Raum. Rechts hinten lag eine Decke auf dem Boden ausgebreitet. Zwei Holztruhen standen in der Nähe an einer Wand, zusammen mit einem Stoß Feuerholz. Offensichtlich handelte es sich nicht um einen Wohnraum. Es war ein Zufluchtsort. Ich konnte es spüren: die Art, wie sich die Wände um mich wölbten, die Art, wie ich sicher war, dass nichts hereinkommen könnte, obwohl doch nur eine Decke über dem Eingang hing. Keine Flüche, kein Hass. Mich überfiel ein starkes Gefühl der Ruhe.
    Selbst Louise wirkte jetzt entspannt, sicher im Schutz
des Hogan. Sie kniete in der Mitte des Raumes und zündete ein Streichholz an, um ein Feuer zu machen, das bereits vorbereitet war. Das Anzündmaterial flammte auf, leuchtete orange, und Flammen begannen an dem Feuerholz zu lecken. Die Luft roch nach Ruß und Asche, nach vielen früheren Feuern, die von selbst niedergebrannt waren. Der Rauch stieg nach oben durch die Öffnung im Dach.
    Louise zeigte uns, wo wir uns hinsetzen sollten, auf den Boden rechts neben der Decke.
    Sie selbst setzte sich auf die Decke. Vor ihr auf dem Boden befand sich eine Sandzeichnung.
    Das Muster zeigte eine komplexe und stark stilisierte Szene. Die Farben waren Erdtöne – Braun, Gelb, Weiß, Rot und Schwarz –, aber dennoch leuchtend. Im Feuerschein schienen sich die dargestellten Figuren zu bewegen.
    Vier Vögel mit ausgebreiteten Flügeln teilten das Bild in vier Teile. Ihre krallenbewehrten Klauen wiesen nach innen, auf einen Kreis in der Mitte des Gemäldes. Mitten in dem Kreis stand eine Gestalt, eine Frau: schwarze Haare flossen von ihrem quadratischen Gesicht, und sie hielt Pfeile in beiden Händen. Gekrümmte weiße Linien – vielleicht Blitze – stiegen von ihren Füßen empor. Augen und Mund bestanden aus winzigen Linien, Bindestrichen, die die Gestalt ausdruckslos wirken ließen. Schlafend. Das ganze Bild wurde an drei Seiten von Regenbogenstreifen eingegrenzt, die in Büschel mündeten, bei denen es sich wohl um Federn handeln musste. Die vierte, unbegrenzte Seite lag der Tür gegenüber. Das alles war symbolisch gemeint, doch die Symbole entzogen sich meinem Verständnis;
abgesehen von einem: die dunkelhaarige Frau im Zentrum großer Macht, zum Kampf gerüstet.
    Louise hob eine Plastikschüssel auf, eine alte Margarineschachtel. Sie entnahm ihr eine Prise eines weißen, pulverartigen Sandes oder sonst einer fein gemahlenen Substanz, die sie auf das Bildnis streute. Ich wusste nicht, wie sie die Linien so gerade ziehen konnte. Sie fügte Blitze hinzu, die strahlenförmig von dem Kreis ausgingen, zwischen den hoch oben schwebenden Adlern hindurch.
    Â»Erzählen Sie mir, wie Miriam gestorben ist«, sagte sie. Ben sah mich an. Ich war die, die

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