Die Stunde Der Jaeger
ausgerechnet jetzt glauben sollte.
Er kam vorwärts, streckte sich am Boden entlang und leckte mir das Kinn. Ich lieà ihn gewähren, schloss die Augen und berührte ihn an der Schulter. Sein Pelz war heiÃ, der Brustkorb hob und senkte sich noch von dem anstrengenden Lauf. Ich drückte mein Gesicht an seinen Hals und atmete tief ein. Er lehnte sich an mich. Mit jedem Atemzug stieà er ein leises Winseln aus.
Ich sagte einfach immer wieder: Es ist in Ordnung.
Der Wolf legte sich hin und rollte sich gleich neben mir im Dreck zusammen â ich würde ihm beibringen müssen, wie man sich einen sicheren Ort zum Schlafen suchte. Doch wahrscheinlich ging er davon aus, dass es sicher genug war, sich neben mir niederzulassen. Er schlief rasch ein. Er träumte, sein Atem ging winselnd, zweimal trat er mit den Beinen aus. Auf Kaninchenjagd. Immer noch am Laufen.
Ich hatte die Aufgabe übernommen, mich um ihn zu kümmern. Für ihn zu sorgen. Also tat ich es und blieb wach, während Milliarden Sterne sich an einem samtschwarzen Himmel über uns wölbten. Mehr Schwarz und mehr Sterne, als ich je gesehen hatte, da hier keine Stadtbeleuchtung war, die alles verwusch. In diesem Moment schienen sich sämtliche Klischees über die beschämende GröÃe des Universums, die Ehrfurcht gebietende Weite voll Himmel und Sternen zu bewahrheiten. Wir beide hätten ganz allein auf der Welt sein können.
Die Nacht war bitterkalt, doch an mich kuschelte sich ein warmes Fellbündel, also machte es mir nicht allzu viel
aus. Ich vergrub die Hände in seinem Pelz und betrachtete die Sterne. Genoss den friedlichen Augenblick und hoffte, dass er die Nacht überdauern würde.
Ich summte etwas Langsames, Klassisches vor mich hin, um mir die Zeit zu vertreiben. Allmählich verwandelte Ben sich zurück in einen Menschen. Das lief im Vergleich zu der Verwandlung in die andere Richtung beinahe sanft ab. Zuerst bahnte sich der Wolf gewaltsam einen Weg aus der Menschenhaut. Doch danach schien der Wolf fortzuschlüpfen, zu verblassen, während die GliedmaÃen allmählich länger wurden und sich die Haare ausdünnten, bis nur noch Haut zu sehen war. Mittlerweile dämmerte es, und der Himmel wurde heller. Ein Vogel sang, eine Reihe hoher, dünner Töne â etwas Schönes, das nicht mitten in die Wüste zu passen schien. Selbst an einem solch verlassenen Ort lebte etwas und gedieh.
Bens Haut sah im frühen Licht grau und steinern aus. Ich saà dicht neben ihm, lieà meine Hand auf seiner Schulter liegen und beschützte ihn. Ich konnte den Moment seines Erwachens spüren; sein Arm zuckte. Ben kuschelte sich an mich und bettete den Kopf bequemer in meinen SchoÃ. Das entlockte mir ein Lächeln. Ich spielte mit einer seiner Haarsträhnen und schob sie ihm aus der Stirn. So sah er richtig niedlich aus.
Ben schlug die Augen auf.
»Oh, Gott!« Er kniff sie wieder fest zusammen.
»Guten Morgen, Sonnenschein«, murmelte ich.
Er rieb sich das Gesicht und verlagerte das Gewicht unbehaglich auf dem harten Boden. »Was ist passiert?«
»Woran kannst du dich erinnern?«
Einen Moment lang dachte er mit gerunzelter Stirn nach. »Ich bin aufgestanden. Habe gedacht, dass ich aufs Klo muss â aber ich bin einfach weitergegangen, nicht wahr?«
Ich lächelte gequält und strich ihm die feuchten Haare aus dem Gesicht. Dass er sich an so wenig erinnerte, überraschte mich. Gewöhnlich blieb mir alles bis zum Moment der Verwandlung im Gedächtnis haften, selbst wenn ich eventuell alles Weitere vergaÃ. Doch er hatte nicht die geringste Kontrolle über die Ereignisse gehabt.
»Ja. Wenigstens hast du es vom Parkplatz geschafft, bevor du dich verwandelt hast.«
Stöhnend setzte er sich auf. Er berührte meine Jogginghose und mein T-Shirt, die blutverschmiert waren. Meine Haare waren ebenfalls voll Blut; mittlerweile waren sie eingetrocknet und verkrustet. Ich wollte lieber nicht wissen, wie ich aussah.
Er sagte: »Du blutest. Du bist verletzt.«
»Nicht mehr. Alles verheilt.«
»Bin ich das gewesen?« Ich nickte. »Gott, das tut mir leid.«
»Du kannst es später wiedergutmachen. Lad mich zum Abendessen auf ein leckeres Steak ein.«
Er dachte kurz nach und spitzte die Lippen. »Wir haben noch nicht einmal ein richtiges Date gehabt, nicht wahr?«
Das war mir noch gar nicht in den Sinn gekommen. Der
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