Die Stunde Der Jaeger
so ist. Du bist diejenige, die an Türen klopft, du bist diejenige, die mich in Gang hält. Ich â ich schaffe es noch nicht einmal, dass meine Hände nicht mehr zittern. Ich kann nicht klar denken. Ohne dich hätte ich mich längst erschossen. Cormac hätte es nicht tun müssen.«
Er war noch nicht daran zerbrochen. Ich war so stolz auf ihn, weil er einen Vollmond durchlebt hatte und nicht zerbrochen war. Doch das konnte immer noch passieren. Jahre später konnte er immer noch daran kaputt gehen.
»Du hast mich nicht gesehen, nachdem ich angefallen worden war«, sagte ich. »Ich war genauso wie du jetzt.«
Er sah auf die Wüste hinaus, weg von mir, und sagte: »Du hast etwas Besseres verdient, als einen Typen wie mich am Hals zu haben.« Er sprach so leise, dass ich ihn beinahe nicht gehört hätte.
Die Worte klangen schmerzerfüllt. Als bräche ihm gerade das Herz. Wir waren ein Rudel; seine Qual wurde zu meiner Qual. Ich glaubte zu wissen, woher sie rührte: Ben wollte, dass wir zusammenblieben, und er glaubte nicht, dass es möglich war. Vertraute nicht darauf, dass ich bei ihm blieb.
Ich musste einen Witz reiÃen â ich wollte es mit Humor nehmen. Mich nicht dem stellen, was da gerade passierte. Ich konnte noch nicht einmal in Worte fassen, was ablief, es war alles ein Bauchgefühl. Bauch und Herz. Ohne einen Witz würde ich in Tränen ausbrechen.
Meine Stimme zitterte. »Bist du dir sicher, dass es nicht vielmehr so ist, dass du etwas Besseres verdient hast, als ein Mädchen wie mich am Hals zu haben?«
»Du könntest jeden haben, den du willst«, sagte er. Er wandte sich mir wieder zu. Wenigstens sah er mich an.
Wie eine gute Partie kam ich mir nicht gerade vor. Ich hatte nicht das Gefühl, so viel Macht zu haben. »Ja, genau, deshalb bin ich auch seit weit vor meinem Uniabschluss Single.«
»Du bist noch jung. Du hast massig Zeit.«
»Du gehst aber auch noch nicht gerade am Krückstock.«
»An manchen Tagen fühlt es sich so an. Mit dreiÃig fängt man an zurückzublicken, und man merkt, dass man verdammt noch mal nichts mit seinem Leben angefangen hat.«
Ich wollte ihm sagen, dass er unglaublich viel wert war. Dass er nichts bereuen sollte. Aber ich kannte ihn erst seit einem Jahr. Ich fing gerade erst an zu begreifen, welchen Ballast er mit sich herumschleppte.
Bevor ich noch ein Wort sagen konnte, ging er schon auf den Eingang des Motels zu und lieà mich stehen.
Ben arbeitete bis spät in die Nacht. Er saà an dem winzigen Tischchen in dem Zimmer, starrte auf seinen Laptop, tippte, blätterte in Papieren und machte sich darauf Notizen. Seine Arbeit war bis zum FuÃende des Bettes ausgebreitet. Ich lag unter der Decke und versuchte, ihn nicht zu stören. Allerdings gab ich mir noch nicht einmal den Anschein, als schliefe ich. Ich lieà ihn arbeiten, anstatt ihn zu überreden, ins Bett zu kommen, was ich eigentlich wollte. Ich wollte auf ihn springen und ihn dazu bringen sich zu entspannen. Ich wollte, dass er die Arbeit vergaÃ, wenigstens vorübergehend. Ich wollte, dass er sich für wertvoll hielt.
Ich blätterte durch ein paar Seiten, die in meine Reichweite gerutscht waren. Das Foto des Coroners von Miriams Leiche war auch darunter. Ich musterte es und versuchte dahinterzukommen, wer sie gewesen war. Was in ihrem Kopf vor sich gegangen war, wie sie zu dem Schluss hatte kommen können, dass es eine gute Idee war, ihre Schwester umzubringen und ein Skinwalker zu werden. Wie war sie als Mädchen gewesen? Ich versuchte, mir die vier Geschwister in besseren Zeiten vorzustellen: drei Schwestern und ein Bruder, die einen Ball kickten oder Fangen spielten in dem staubigen Hof jenes Hauses, dem wir einen Besuch abgestattet hatten. Ich versuchte, mir eine junge Louise vorzustellen, bevor sie derart verängstigt und verzweifelt geworden war, wie sie mit einer jungen Miriam lachte, die nicht tot war. Kleine
Mädchen mit schwarzen Pferdeschwänzen. Ich konnte es mir vorstellen â doch was ich mir nicht vorstellen konnte, waren die Ereignisse, die sie dorthin geführt hatten, wo sie heute waren.
Was brachte einen dorthin, wo man schlieÃlich landete?
Ben setzte sich zurück und atmete tief seufzend aus. Die Haare standen ihm zu Berge, weil er immer wieder mit den Händen hindurchgefahren war. Sein Hemd war offen, die Ãrmel hochgekrempelt; seine
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