Die Stunde Der Jaeger
zwischen die Bäume starrte. Hinter jedem einzelnen hätte sich etwas verbergen können.
»Mittag ist längst vorbei«, sagte Ben. »Komm wenigstens zurück und iss etwas. Ich habe uns etwas zu essen gemacht. «
»Lass mich raten: Wildbret.«
Er setzte sein vertrautes, halb affektiertes Grinsen auf. Wie lange hatte ich das nun schon nicht mehr gesehen?
»Nein. Sandwiches. Du wirst es mir nicht glauben, aber Cormac hat fast das ganze Fleisch mitgenommen!«
Doch. Doch, das glaubte ich ihm. »Er nimmt es als Köder her, oder?«
»Möchtest du die Antwort wirklich hören?«
»Nein.«
Ich arbeitete, während wir aÃen, ging ins Internet und suchte nach allem, was mir relevant vorkam: Stacheldrahtkruzifix, Blutflüche, Tieropfer. Rote Augen. Genauer gesagt rotäugige Monster, weil die Recherche ansonsten auch sämtliche medizinischen Seiten und Ratschläge in Sachen Fotografie ausspuckte. Ich fand viele Seiten, die am Rand mit den Themen zu tun hatten. Viele Leute stellten Schmuck her, der nach Stacheldraht aussehen sollte, aber bei weitem nicht bösartig genug war, um auch tatsächlich echt zu sein. Viele Websites waren prahlerisch, doch nur wenige hatten tatsächlich etwas zu sagen.
Wie gewöhnlich sprachen diejenigen, die wirklich von diesem Zeug wussten, nicht darüber und schrieben ganz gewiss keine Blogs zu dem Thema.
Doch ich stieà auf etwas. Eine vage Vermutung, aber eine interessante. Der elektronische Katalog der Leihbücherei von Walsenburg war online einsehbar. Sämtliche drei Titel über das Okkulte waren ausgeliehen.
Ich rief in der Bücherei an. Eine Frau ging ans Telefon. »Hi«, sagte ich fröhlich. »Ich interessiere mich für ein paar Ihrer Bücher, aber laut Katalog sind sie verliehen.«
»Wenn sie seit mehr als zwei Wochen ausgeliehen sind, kann ich sie zurückrufen lassen â¦Â«
»Nein, ist schon in Ordnung. Ich habe mich vielmehr gefragt, ob Sie mir verraten könnten, wer sie sich ausgeliehen hat.«
Schlagartig wurde ihre Stimme kühl. »Es tut mir leid. Diese Informationen kann ich wirklich nicht herausgeben.«
Ich hätte es natürlich besser wissen müssen. Rückblickend überraschte mich ihre Antwort nicht. Ich versuchte es trotzdem noch einmal. »Nicht mal ein Hinweis?«
»Tut mir leid. Möchten Sie, dass ich es mit dem Rückruf probiere?«
»Nein danke. Ist schon gut.« Ich legte auf. An den Büchern war ich nicht interessiert. Ich wollte wissen, wer sich in dieser Gegend mit dem Okkulten beschäftigte. Welcher Amateur in dieser Disziplin eventuell ein bisschen zu gut geworden war.
Wieder schliefen wir zusammengerollt beieinander, um ein Grundbedürfnis nach Trost zu stillen. Genauer gesagt versuchte ich zu schlafen, verbrachte aber mehr Zeit damit, an die Decke zu starren und auf den Augenblick zu warten, in dem ich den Druck spüren konnte, die Angst, das sichere Wissen, dass sich dort drauÃen etwas Unbekanntes und Furchterregendes an mich heranpirschte. Das Gefühl hatte sich geändert, seitdem es sich nicht mehr nur um tote Kaninchen auf meiner Veranda handelte. Diese neue Macht wollte nicht nur, dass ich fortging â sie wollte meinen Tod. Ich hatte das Gefühl, dass mir nichts zu tun übrig blieb, als reglos abzuwarten, bis sie erneut zuschlug.
Auf meiner Veranda war schon seit Tagen nichts mehr
geschlachtet worden. Die Stacheldrahtkruzifixe waren nicht mehr aufgetaucht. Bedeutete das, dass der Fluch verschwunden war, oder hatte er sich in etwas anderes verwandelt?
Ich wartete, doch in der Nacht tat sich nichts. Ein leichter Wind raunte durch winterliche Kiefern, das war alles. Ich glaubte, vor lauter Lauschen und Warten schier zerplatzen zu müssen.
Am nächsten Morgen hackte Ben Holz für den Ofen. Er kam allmählich wieder zu Kräften, wollte sich betätigen. Normal, oder jedenfalls normaler. Ich sah ihm von meinem Schreibtisch aus durchs Fenster zu. Er konnte mit einer Axt umgehen, schwang sie geschmeidig und mühelos, und spaltete rasch Holzscheite, um den Haufen neben der Veranda aufzustocken. Aus irgendeinem Grund überraschte mich das, als glaubte ich nicht, dass ein Anwalt auch etwas von körperlicher Arbeit verstehen konnte. Mir fiel auf, dass ich über Bens Vorgeschichte ebenso wenig Bescheid wusste wie über Cormacs. Ben hatte in seiner Vergangenheit zweifellos schon öfter
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