Die Stunde Der Jaeger
Walden zuwege zu bringen, doch ich hatte es nicht geschafft, Thoreaus Idealen gemäà zu leben. Das Problem bestand darin, dass ich keinen Teich hatte. Es
war der Walden - Teich . Für wirksame Kontemplationen brauchte ich ein groÃes Gewässer.
Aber mal ehrlich, was hätte Thoreau getan, wenn ein Freund mit einem Werwolfbiss aufgetaucht wäre und ihn um Hilfe angefleht hätte? Da kam mir eine weitere Frage in den Sinn: Hatte es einen unheilvolleren Grund gegeben, weswegen Thoreau sich zurückgezogen und allein im Wald gehaust hatte? Und hatte er die ganze Sache bloà in all diesen Schwulst über ein einfaches Leben verpackt, um diesen Grund zu überdecken? Werwölfe gehörten schlieÃlich nicht gerade zum anerkannten Kanon der amerikanischen Literatur. Was hätte Thoreau getan?
Ein WHTG?-Aufkleber an der StoÃstange wäre zu erklärungsbedürftig gewesen. Und mal ehrlich, wahrscheinlich hätte er dem armen Kerl einen Vortrag darüber gehalten, dass er diese Lage seinem zügellosen Lebensstil zu verdanken hätte.
Ich war nicht Thoreau. Würde niemals Thoreau sein. Zum Teufel! Ich schrieb seitenweise über die Herrlichkeit des Massenkonsums, die uns auf dem Höhepunkt der modernen Zivilisation geboten wurde. Sämtliche Gründe, warum man nicht in den Wald laufen und sich selbst ein klein wenig Luxus im Leben verwehren sollte.
Ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren, schlüpften Ben und ich am Abend gemeinsam ins Bett und schmiegten uns unter der Decke aneinander, um uns gegenseitig zu wärmen. Kein Herumgeknutsche, kein Sex, ja noch nicht einmal ein Kuss, und das war okay so. Wir waren ein Rudel, und wir mussten zusammen sein.
Wir hätten an dem Tag verschwinden sollen.
Etwas passierte, weckte mich auf. Ich spürte kaum, wie es die Luft verdrängte, seinen eigenen kleinen Luftzug erzeugte, indem es sich fortbewegte. Ein Raubtier, das sich an mich heranpirschte.
Nein. Dies hier war mein Haus, mein Revier. Das musste ich mir nicht gefallen lassen. Ich würde nicht davonlaufen und es gewinnen lassen. Auf keinen Fall!
Ich lieà mich aus dem Bett gleiten und tappte auf die Veranda, im Dunkel der Nacht, ohne einen sichtbaren Mond oder Sterne oder sonst etwas.
»Kitty?«, sagte Ben im Schlafzimmer.
Auf das Geländer gelehnt, schnupperte ich in die Luft. Bäume, Hügel und etwas . Etwas stimmte nicht. Ich konnte nichts im Wald erkennen, aber es war hier. Was auch immer mich hasste, war hier.
»Komm raus!«, schrie ich. Ich rannte auf die Lichtung, drehte mich suchend um, konnte jedoch immer noch nichts erkennen. »Ich will dich sehen! Zeig dich, du Feigling!«
Es war dumm. Wer auch immer diesen Ort mit jenem Fluch belegte, würde sich nicht offen zu erkennen geben. Hätten sie mir die Stirn bieten wollen, wären sie von Anfang an nicht herumgeschlichen und hätten auf meiner Veranda Kaninchen ausgeweidet. Mit meinem Geschrei und Herumgefuchtele würde ich es lediglich verjagen.
Doch dieses Gefühl war immer noch da. Dieser Druck, diese Andeutung, dass etwas mich nicht nur beobachtete. Es hatte mich in eine Falle gelockt. Es hatte mein Revier zu seinem gemacht und war nun dabei, mich zu ersticken, anstatt mich davonlaufen zu lassen.
Vielleicht war es nicht der Fluch. Vielleicht handelte es sich hierbei um etwas anderes. Cormac sagte, die Sache könnte eskalieren, aber inwiefern?
Etwas wie Augen leuchtete auf, lieà eine Gestalt in der Dunkelheit erahnen.
Eine Sinnestäuschung. Da drauÃen war in Wirklichkeit gar nichts. Doch ich ging vorsichtig auf die Bäume zu. Dachte an Wolfspfoten, Ballen, die kaum den Erdboden berühren, sich schwerelos fortbewegen. Meine Schritte wurden ausholender. Ich konnte stundenlang so joggen, ohne auÃer Atem zu geraten.
»Kitty!« Ben rannte die Verandastufen herunter, doch ich drehte mich nicht um. Sollte da drauÃen etwas sein, sollte dieses Etwas hinter mir her sein, dann würde ich es ausfindig machen.
Da, eine Bewegung! Derselbe Schatten, gewaltig, aber dicht am Boden. Auf der Lauer. Mein Puls beschleunigte sich, pochte heiÃ. Das hier hätte ich schon die ganze Zeit über tun sollen, den Spieà umdrehen, den Jäger jagen. Wider meine Intuition wurde ich langsamer, wartete ab, was es täte, gab ihm Gelegenheit, in diese oder jene Richtung zu springen. Sobald es sich bewegte, musste ich nur losstürzen und es mit meinen Krallen zu
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