Die Stunde der Schwestern
herunter.
Hippolyte ging in die Küche und kochte sich Kaffee. Mit einem mürrischen Gruß erschien Marie-Luise endlich in der Tür, dicht gefolgt von Tristan. Während sie die Dose Hundefutter öffnete und den Inhalt in Tristans Schüssel füllte, sah ihr Hippolyte zu. Um endlich das Schweigen zu beenden, schlug er vor, hinunter nach Saint-Emile zu fahren. »Wir müssen einkaufen, und wenn du Lust hast, essen wir im La Danseuse Maronentörtchen, die magst du doch so gern.«
»Bemüh dich nicht«, antwortete Marie-Luise reserviert. »Du kannst ja einkaufen fahren, aber ich bleibe hier und warte auf Frank.«
Sie warf die Dose in den Müll, verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn herausfordernd an. Wie immer trug sie eine Hemdbluse, dazu Jeans und knöchelhohe Stiefel.
Überrascht sah er sie an. »Auf Frank?«
Sie ließ die Arme sinken, seufzte leise und setzte sich ihm gegenüber.
»Er wird mich in mein Haus bringen und dann hinunter zum Bahnhof fahren. Ich nehme den Vier-Uhr-Zug nach Marseille. Ich fliege noch heute nach Deutschland.«
Hippolyte war so überrascht, dass er sie nur anstarrte, ohne etwas zu erwidern.
»Ja, ja … schau nicht so!«, fuhr sie ihn an. »Darum wollte ich heute Nacht eine Entscheidung, aber dein Zögern war ja bereits die Entscheidung.«
»Wieso fliegst du nach Deutschland? Wann kommst du zurück?«
Hippolyte konnte es nicht begreifen, dass sie ging.
»Ich habe das Angebot eines Verlags, für ein Jahr als Lektorin zu arbeiten, als Vertretung für eine Kollegin, die in der Elternzeit ist. Was danach sein wird, weiß ich noch nicht.« Sie sah Hippolyte an, und er begriff, dass sie hoffte, er würde sie zurückhalten, sie in die Arme schließen und ihr sagen, dass er sie liebe und mit ihr ein Kind haben wolle.
»Du willst mich erpressen«, sagte er langsam, »das ist es.«
»Nein, das ist es nicht.« Marie-Luise beugte sich zu Tristan hinunter und kraulte ihn hinter den Ohren. Sie sah Hippolyte nicht an, als sie leise weitersprach: »Ich liebe dich, Hippolyte, das habe ich dir oft genug gesagt. Aber ich gehe, weil ich gehen muss. Ich gehe, weil ich es nicht ertragen kann, wie du leidest. Wie wir beide leiden. Denn du liebst Bérénice und nicht mich. Ich wollte es nicht wahrhaben, doch heute Nacht habe ich es begriffen.« Jetzt richtete sie sich auf und sah zu ihm herüber. »Darum gehe ich. Mir bietet sich eine berufliche Chance, und ich werde sie ergreifen.«
Sie sah ihn voller Erwartung an, doch er sprach den Satz nicht aus, den sie hören wollte.
»Nun …« Nachdem Hippolyte schwieg, wandte sie sich mit einem Ruck von ihm ab. »Ich hole dann schnell meine Tasche.« An der Tür drehte sie sich noch einmal um. »In meinem Haus wohnt ab Mai eine Freundin. Kann ich dir meine Schlüssel dalassen?«
»Natürlich.« Rasch sagte ihr Hippolyte seine Hilfe zu. »Ich kann auch mal nach dem Rechten sehen, wenn du willst.«
Jetzt lächelte ihn Marie-Luise an. Es war ein trauriges Lächeln, das ihn tief berührte. »Ja, das wäre nett von dir. Danke.«
Er sah ihr nach, als sie die Treppe hinaufging, und wartete in der Küche. Als er Franks Auto die Straße heraufkommen hörte, ging er hinaus und blieb vor der Eingangstür stehen. Er stand noch da, als Frank bereits aus seinem alten Peugeot stieg und Marie-Luise mit ihrer Tasche aus dem Haus kam.
»Das geht alles so schnell«, versuchte er halbherzig, sie zurückzuhalten. »Wollen wir nicht noch einmal darüber reden?«
»Wozu?« Ihre Antwort kam rasch, und in ihren Augen erkannte Hippolyte ihren sehnlichen Wunsch nach einer Umarmung, nach einer Beteuerung von ihm. Doch er brachte das »Ich liebe dich« nicht über die Lippen. Er hätte lügen müssen, wenn er die Worte ausgesprochen hätte.
Frank begrüßte die beiden und verstaute Marie-Luises große Tasche im Kofferraum. Schweigend standen sich Hippolyte und Marie-Luise gegenüber. Sie zwang sich zu einem Lächeln, doch als Hippolyte sie küssen wollte, wich sie ihm aus und beugte sich zu Tristan hinunter.
»Komm!«, lockte sie ihren Hund, der aber neben Hippolyte sitzen blieb und keine Anstalten machte, ihrer Aufforderung zu folgen.
»Willst du Tristan behalten, bis im Mai meine Freundin kommt?«, fragte Marie-Luise plötzlich. »Ich werde in der Stadt leben, und Tristan wäre sehr viel allein.«
»Ich nehme ihn gern. Du weißt, er ist mir ans Herz gewachsen.«
»Wir können telefonieren, und du sagst mir dann, wie es ihm geht.«
Der Hund stellte eine Verbindung
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