Die Stunde der Schwestern
in einem der kleinen Cafés auf einer Piazza saßen, um kühle Granita di limone oder einen Espresso zu trinken.
So war sie froh, wenn der Tag endlich zu Ende ging und sie hier in der Abgeschiedenheit des Raums in dem breiten Bett vor sich hin träumen konnte.
»Un bel di vedremo …«,
klang es aus
Madame Butterfly
von unten herauf. Es war eine traurige Musik, die Denise’ Herz berührte und sie zum Weinen brachte.
Oder war es nicht vielmehr die traurige Hochzeitsreise zweier Menschen, die sich nicht liebten, die nur zusammengefunden hatten, weil sie beide einsam waren? Etienne hatte sie geheiratet, dafür sollte sie dankbar sein, das hatte ihre Mutter schon vor der Hochzeit betont.
»Er ist anständig, nicht jeder Mann hätte so gehandelt«, hatte Joselle ihrer Tochter eingeschärft. »Und durch diese Heirat steigst du gesellschaftlich auf.« Sie hatte recht.
Das war schließlich Denise’ Wunsch gewesen. So gesehen war Etienne der Verlierer, denn er hatte eine andere geliebt.
Auch wenn sich ihre Pläne verwirklicht hatten, Glück fühlte sich anders an, das wusste Denise, obwohl sie das große Glück noch nie erlebt hatte.
Sie hing ihren trübsinnigen Gedanken nach, während sie der Musik lauschte, und schreckte hoch, als die Tür heftig aufgestoßen wurde und Etienne hereinkam. Wortlos durchquerte er das Zimmer und blieb vor ihrem Bett stehen.
»Wie war’s im Museum?«, fragte sie tonlos und sah beunruhigt zu ihm hoch.
»In den
Uffizien.
« Etiennes Stimme eskalierte.
»Uffizien,
das Museum heißt
Uffizien.
Wie oft soll ich dir das noch sagen! Leider bist du ungebildet und hast nicht den geringsten Ehrgeiz, dir ein gewisses Grundwissen anzueignen.«
Denise schwieg. Bisher war Etienne höflich und distanziert geblieben, aber diese schroffe Art verletzte sie. Schließlich waren die Uffizien ein Museum, warum also war Etienne so aggressiv?
»Emily, Florence und ich blieben nicht lange dort, wir saßen dann auf der Piazza San Lorenzo und haben einen Aperitif getrunken und uns sehr nett unterhalten. Die Schwestern sind wirklich sehr gebildete Frauen.«
Denise erkannte sofort die Spitze gegen sich und schwieg. »Komm, steig aus dem Bett!«
Etienne streckte in einer herrischen Geste die Hand nach ihr aus. »Komm, komm her!«
Fragend sah Denise ihn an, setzte sich auf und schlüpfte in ihre kleinen Pantoffeln.
Etienne zog sie vor den Spiegel. »Hier, schau dich an!«, forderte er sie auf.
Denise wusste, dass die Schwangerschaft sie nicht hatte schöner werden lassen. Die Haare wirkten glanzlos und strähnig, ihr Gesicht war blass, und das rosa Baumwollnachthemd konnte ihre leicht hängenden Brüste nicht verbergen. »Lass mich!« Sie versuchte, sich aus Etiennes Griff zu befreien. Schlagartig veränderte sich die Situation zwischen ihnen. Etienne hatte sie erschreckt, verstört sah sie ihn an, vermied aber immer noch den Blick in den Spiegel.
»Was siehst du, wenn du dich anschaust?« Etienne ließ ihren Arm los, umfasste mit einer Hand ihr Kinn und drehte ihr Gesicht gewaltsam zum Spiegel. Als sie schwieg, beantwortete er selbst seine Frage: »Du siehst eine junge Frau, bleich, ungepflegt, ungebildet und schlecht gelaunt. Du hast keine Tischmanieren und weißt nicht, wie man sich unterhält. Du hast keine Ahnung von Literatur, Malerei oder auch nur vom täglichen Leben, wenn es deinen beschränkten Horizont übersteigt. Ich habe mehr von dir erwartet, mehr Einsatz, mehr Interesse. Mehr Dankbarkeit«, fügte er nach einer Pause hinzu und ließ sie abrupt los.
Dankbarkeit. Das also war es. Sie sollte dankbar sein, dass er sie geheiratet hatte, sie, das ungebildete, unscheinbare Mädchen, obwohl er doch in Fleur verliebt war. Fleur, die jetzt in Paris lebte, frei und ungebunden, die keinem Menschen dankbar sein musste und die sich in der Hauptstadt einen attraktiven reichen Mann angeln würde, der sie liebte und den auch sie lieben konnte.
»Ja, ich bin nun mal nicht Fleur«, reagierte sie heftig, »ich bin Denise, und ich bin deine Frau.«
Fast erwartete sie, dass Etienne das Wort aussprach, das sie auf seinem Gesicht ablesen konnte: leider. Doch er beherrschte sich. »Du bist eine eigenartige Frau«, sagte er nur und beobachtete sie, als sie nervös an ihren Haaren und ihrem zerknitterten Hemd herumzupfte. Langsam ließ er sich auf dem kleinen grünen Samtsofa nieder, das direkt unter dem Fenster stand. »In den vergangenen zwei Wochen habe ich versucht, dir näherzukommen, doch es ist mir nicht
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