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Die Stunde der Schwestern

Die Stunde der Schwestern

Titel: Die Stunde der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Maybach
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ihr ab, und mit letzter Kraft zog Denise die Decke über ihren geschundenen Körper. Als sie wimmernd den Kopf hin und her warf, sah sie Marguerite im Türrahmen stehen, aschfahl im Gesicht, den Mund zu einem Schrei geöffnet, ohne dass sie einen Ton herausbrachte. Sie war Zeugin eines Verbrechens geworden, das ihr geliebter Sohn begangen hatte. Als Denise’ verzweifelter Blick sie traf, verschwand sie wie eine gespenstische Vision.
    Verletzt und gedemütigt spuckte Denise ihrem Mann ins Gesicht und schrie ihn hasserfüllt an: »Fleur wird dich niemals lieben. Sie verachtet dich, hörst du? Sie verachtet dich«, schrie sie immer und immer wieder. »Fleur kann jeden Mann lieben, nur dich nicht, hörst du? Du bist für sie abstoßend, sie empfindet nur Mitleid mit dir, sie lacht über dich …«
    Es verschaffte Denise Genugtuung, zu sehen, zu spüren, wie hart ihre Worte Etienne trafen. Sie wollte ihn verletzten, sie wollte ihn leiden sehen. Doch als sie versuchte, vom Bett aufzustehen, schlug Etienne noch einmal zu.
    Sie spürte den Schmerz nicht mehr. Ausdruckslos starrte sie ihn an. Beide schwiegen und rührten sich nicht, sahen sich nur voller Hass an. Und da sprach Denise den einen Satz aus, der ihr Leben verändern und ihr Schicksal bestimmen sollte. Sie wollte sich rächen, Etienne verletzen, demütigen, wie sie selbst erniedrigt worden war.
    »Ich bin wieder schwanger«, sagte sie mit plötzlich ruhiger Stimme, während sie auf Knien ihren Rock suchte und mühsam und zitternd zur Tür kroch. Dort richtete sie sich am Griff schwankend auf. »Und vielleicht hast du gerade dein Kind getötet.«
    Der Ausdruck auf Etiennes Gesicht veränderte sich und wechselte von Erstaunen und Ungläubigkeit in Scham und Bestürzung.
    Denise wankte, ohne Etienne noch eines Blickes zu würdigen, kerzengerade zur Tür hinaus. »Ich gehe zu meiner Mutter«, rief sie über die Schulter. Etienne rührte sich nicht, blieb in der Mitte des Zimmers stehen.
    Unten im Erdgeschoss war es still, doch Denise ahnte, dass Marguerite hinter der Tür ihres Zimmers stand und horchte. »Deine Mutter hat uns beobachtet«, rief sie laut. »Sie hat gesehen, was du mit deiner Frau gemacht hast, mit deiner schwangeren Frau!«
    Mit einem Gefühl des Triumphes verließ Denise das Haus. In diesem Moment der Rache fühlte sie keinen Schmerz mehr.
    Erst als sie sich Joselles Wendeltreppe hochschleppte und sich am Geländer festkrallte, spürte sie das brennende Stechen im angeschwollenen Knie. Jetzt kamen die Schmerzen wieder zurück, heftig zerrissen sie ihr den Unterleib, brannten im Gesicht, auf dem Hals. Der Kopf dröhnte und tat weh, sie konnte den Mund kaum öffnen.
    Beim Anblick ihrer Tochter fuhr Joselle mit einem Schrei aus ihren Kissen hoch. Erst in diesem Moment begriff Denise, dass ihr Gesicht geschwollen sein musste und sich blau verfärbte.
    »So hat mich Etienne zugerichtet«, klagte sie, »obwohl ich schwanger bin.«
    »Du bist schwanger? Das hast du mir gar nicht erzählt. Und dann tut dir dein Mann so etwas an? Komm her, meine Kleine!« Joselle erhob sich ächzend. »Komm, ich mache dir einen Umschlag, meine arme Kleine«, wiederholte sie und vergaß über das sichtbare Leid der Tochter ihre eigene Krankheit. Zart strich sie mit der Hand über Denise’ geschundenes Gesicht. Es war eine zaghafte, hilflose Geste, doch die spröde Berührung brachte Denise zum Weinen. Niemals hatte sie in der Kindheit körperliche Zärtlichkeit von der Mutter erfahren. Joselle aber strich weiterhin ratlos und ungeschickt über das Gesicht und die Haare ihrer Tochter. Ein wenig steif stand Denise vor ihr, voller Erwartung, bis Joselle sie endlich an sich zog. So standen Mutter und Tochter eng umschlungen in der stillen Wohnung, und da begann Joselle zu singen, leise nur, mit sanfter Stimme und ein wenig keuchend. Es war ein Kinderlied, mit dem sie vor vielen Jahren ihre beiden Töchter in den Schlaf gesungen hatte.
     
    »Au clair de la lune, mon ami Pierrot
    Prête-moi ta plume pour ecrire un mot.«
     
    Denise weinte und schluchzte, und an den weichen Busen ihrer Mutter geschmiegt, war sie überzeugt, dass jetzt alles anders werden würde. Joselle gab ihr Liebe und Fürsorge, Etienne würde seine Tat bereuen, und sogar Marguerite würde sich ihres Sohnes schämen und alles tun, um der schwangeren Schwiegertochter das Leben zu erleichtern. Endlich bekam sie, wonach sie sich immer gesehnt hatte: Mitleid, Zuneigung und Aufmerksamkeit.
     
    »Je n’ai pas de

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