Die Stunde der Schwestern
sie war zu scheu, um nach der Hand ihrer Mutter zu greifen, und so blieb sie steif sitzen, bis Joselle gefrühstückt hatte.
»Du kannst ruhig gehen«, erklärte Joselle zwischen zwei Hustenanfällen. »In einer Stunde kommt Lisette. Du weißt schon, meine alte Schulfreundin. Sie hilft mir beim Waschen und Anziehen, kocht das Mittagessen und bleibt dann bis zum Abend.«
»Ich sehe dann gegen acht Uhr nach dir«, versprach Denise. Sie stand auf und brachte das Tablett in die Küche, bevor sie nach unten in die Schneiderei ging. Sie musste nicht lange warten, bis Madame Binet kam, die von dem Kleid begeistert war.
»Sie sind eine echte Künstlerin, Denise. Man wird mich um das Kleid beneiden.«
Denise strahlte, denn Madame Binet war Joselles anspruchsvollste Kundin, und ihr Lob machte Denise für einen kurzen Moment glücklich. Nachdem Madame Binet gegangen war, hängte Denise ein Schild an die Tür, dass die Schneiderei wegen Krankheit vorübergehend geschlossen sei.
Ihre Schritte wurden langsamer, als sie die Place de la Victoire überquerte und die Stufen in das Souterrain der Apotheke hinunterging. Sie wollte Etienne Bescheid sagen, dass sie zurück sei, dass es ihrer Mutter aber nicht gutging.
»Etienne?«
Es blieb still. Unschlüssig stand Denise in der Apotheke und sah sich um. Auf der Theke standen mehrere Kartons, wohl die Lieferung einer Pharmafirma. Da fiel ihr Blick auf die Schublade »Fleur«. Der Schlüssel steckte, und ohne nachzudenken, ging Denise zur Theke und zog die Lade auf. Sie war bis zum Rand gefüllt mit Fotos, sorgfältig ausgeschnitten aus Modemagazinen und Zeitungen. Zuoberst lag der Ausschnitt aus dem Boulevardblatt, das sie gerade bei ihrer Mutter gesehen hatte:
Erwischt!
Auch Etienne hatte dieses Foto mit Fleur und ihrem Liebhaber aufgehoben. Wie schön ihre Schwester war und wie glücklich sie darauf aussah! Lange starrte Denise, von quälendem Neid gepeinigt, auf das Bild in ihrer Hand. Da spürte sie plötzlich, dass sie nicht mehr allein war. Sie erschrak, bewegte sich nicht, doch ihre Knie zitterten, und sie wagte kaum zu atmen. Sie wusste, wer hinter ihr stand.
Nach einem unerträglichen Moment des Schweigens drehte sie sich langsam um. Etienne stand in der Tür zum Labor. Schweißtropfen hatten sich auf seiner Stirn gebildet und liefen über sein blasses Gesicht. Mit ein paar Schritten durchquerte er den Raum, und mit einer heftigen Bewegung stieß er Denise zur Seite. Sie taumelte und hielt sich an der Theke fest. Als Etienne die Schublade hastig zustieß, nutzte sie diesen Moment. Sie hastete die Stufen zur Wohnung hoch und lief weiter die Treppe in den ersten Stock hinauf. Einmal stolperte sie und wäre beinahe gestürzt. Sie hörte Etiennes keuchenden Atem hinter sich, als sie die Tür zum Schlafzimmer aufriss. Doch sie konnte sie nicht mehr schließen, denn Etienne drückte mit aller Kraft dagegen und stand dann im Zimmer. Denise wich rückwärts zum Bett, während sie ihn nicht aus den Augen ließ. Langsam kam er auf sie zu, und sie erkannte die Gefahr, die von ihm ausging. Trotzdem sprach sie aus, was sie so lange zurückgehalten hatte: »Du bist nicht normal, Etienne. Du sammelst Fotos von Fleur, einer Frau, die dich ausgelacht hat, die nichts von dir wissen wollte, die …«
Etienne stand jetzt ganz nahe vor ihr und schlug zu. Er schlug nur einmal, aber mit voller Wucht. Denise taumelte, stieß mit dem Knie an den eisernen Pfosten des Bettes und fiel rücklings auf die Kissen. Sie schrie auf, der Schmerz im Knie schoss durch ihren Körper, und ihr Gesicht brannte von dem heftigen Schlag. Als Etienne sich auf sie warf, versuchte sie, sich auf die Seite zu rollen, doch sein Gewicht drückte sie fest auf das Bett, so dass sie sich nicht mehr bewegen konnte. Dann packte er sie, drehte sie um und riss ihr den Rock herunter. Er schob einen Arm unter ihren Bauch und hob ihren Unterleib hoch, bis sie auf die Knie kam. Mit eisernem Griff hielt er sie fest und drang keuchend von hinten in sie ein, obwohl sie, während sie mit dem Kopf gegen das metallene Kopfteil des Bettes prallte, schrie und wimmerte und ihn anflehte, aufzuhören.
Doch auf ihr Schreien hin wurden seine Stöße noch härter, noch heftiger, bis er sich endlich zurückzog, aber nur, um sie dann grob auf den Rücken zu drehen und ihre Arme mit eisernem Griff aufs Bett zu drücken. Wieder drang er in sie ein und beschimpfte sie wütend: »Du Hure«, keuchte er, »du verdammte Hure!«
Endlich ließ er von
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