Die Stunde der Schwestern
Mond auf und weckte Erinnerungen an warme Sommernächte, an das Sirren der Zikaden und den Duft von Lavendel. Vom ersten Moment an hatte sie das
Maison Bleue
geliebt, bis Hippolyte das Weingut übernahm und er sich veränderte, schweigsam wurde und sich abkapselte. Er hatte sie an seinen Schwierigkeiten nicht teilhaben lassen.
»In guten wie in schlechten Tagen, Hippolyte«, hatte sie einmal zu ihm gesagt. »Wir haben’s geschworen.« Doch er hatte sich immer mehr zurückgezogen. Dann waren sie nach Paris gegangen, und nach vier glücklosen Jahren war Hippolyte hierher zurückgekehrt, um »im Leben anzukommen«, wie er sich ausdrückte.
War sie auch im Leben angekommen? War sie glücklich in Paris, oder glaubte sie das nur? Hippolyte
war
glücklich, das konnte sie sehen, glücklich wie seit Jahren nicht mehr. War Marie-Luise der Grund dafür?
Jetzt hörte sie Hippolyte mit dem Hund reden, lachen, mit ihm um die Wette laufen. Dann tauchten die beiden zwischen den Rebstöcken wieder auf. Tristan bellte erfreut und schnappte nach einem Stöckchen, das Hippolyte ihm vor die Schnauze hielt. Der Hund tanzte und schwänzelte um Hippolyte herum, bis sie vor dem Haus ankamen. Hippolyte rang nach Atem, und Tristan legte sich schwanzwedelnd zu seinen Füßen.
»Gehst du jeden Abend mit ihm spazieren?«, wollte Bérénice wissen.
Hippolytes Atem beruhigte sich, und er nickte, während er sich zu Tristan hinunterbeugte und ihn kraulte. »Er ist mir ans Herz gewachsen.«
In der Ferne heulte ein Hund, und sofort sprang Tristan auf und antwortete mit lautem Gebell. Hippolyte und Bérénice lächelten sich an, doch Fremdheit stand zwischen ihnen, und so drehte Bérénice den Kopf zur Seite und zeigte auf das Schild, das ihr bei der Ankunft aufgefallen war:
Dégustez nos vins.
»Veranstaltet ihr Weinproben?«
»Ja, in der Toreinfahrt. Im September war hier einiges los«, erzählte Hippolyte. »Frank und ich überlegen, ob wir nicht den Anbau in ein kleines Restaurant umfunktionieren. Mal sehen, Pläne haben wir genug.«
Er lachte und kam ganz nahe. Er blieb vor ihr stehen und sah sie an. Seine Silhouette hob sich dunkel gegen den Sternenhimmel ab, und da beugte er sich zu ihr herunter, kniete sich vor sie auf den Boden, verbarg sein Gesicht in ihrem Schoß und umschlang ihre Taille. Lange verharrten sie so, bis Bérénice vor Kälte zitterte. Hippolyte ließ sie sofort los. »Komm, lass uns reingehen, du frierst ja.« Er wollte sie von der Bank hochziehen, doch sie wandte ihm nur stumm ihr Gesicht zu. Er berührte mit seinen Lippen zart ihren Mund, sie aber ließ ihre Arme sinken und blieb ruhig sitzen. Da zog er sie zu sich heran, legte den Arm um ihre Schultern, und sie gingen ins Haus und die Treppe hinauf. Tristan blieb in der Küche vor dem Kamin, in dem das Feuer langsam herunterbrannte.
Oben stieß Hippolyte die Tür zum Schlafzimmer auf, und Bérénice folgte ihm wortlos. Im Finstern zogen sie sich aus und fanden blind den Weg ins Bett. Ihre Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit, und sie lagen mit dem Gesicht dicht beieinander, spürten den anderen, sogen den vertrauten Geruch ein.
Ich liebe dich, Hippolyte, ich liebe dich so sehr. Ohne dich ist mein Leben sinnlos … Die Worte blieben ungesagt, Bérénice gestand ihre Liebe nicht ein. Wie hatte sie jemals an ihr zweifeln können? Wieso hatte sie ihm nicht verziehen? Wie hatte sie nur zulassen können, dass sie sich fremd wurden und die Liebe vergaßen?
Vielleicht empfand Hippolyte in diesem Moment das Gleiche. »Davon habe ich so oft geträumt«, flüsterte er und zog Bérénice so zart an sich, als sei sie eine Gestalt aus einem Traum und nicht Realität.
»Sag mir, dass du mir gehörst«, stammelte Bérénice und drückte ihren Körper noch enger an ihn.
»Ich gehöre dir«, antwortete Hippolyte. »Heute Nacht gehöre ich dir.«
»Streichle meine Brüste«, flüsterte sie, »mit deiner Zunge, so wie früher.«
Und er küsste sie und berührte sie, und sie liebten sich mit der Leidenschaft ihrer ersten Liebe.
*
Als Bérénice erwachte, dämmerte der Morgen herauf, und ein fahler Lichtstreifen drang in den Raum. Hippolyte stand nackt im Zimmer und sah durch die schmalen Ritzen des Fensterladens hinaus. Als sich Bérénice bewegte, drehte er sich um und kam zum Bett zurück. Er setzte sich, blieb aber von ihr abgewandt. Sie umschlang ihn mit ihren Armen und legte ihren Kopf an seine Schulter. Da fing Hippolyte zu reden an.
»Ich will es dir sagen. Jetzt
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