Die Stunde der Schwestern
Maison Bleue
steil bergab.«
»Dein Vater hat uns das Gefühl gegeben, alles im Griff zu haben.«
Hippolyte lachte spöttisch auf. »Und dann kaufte er auch noch dieses Haus am Meer, wieder mit einer Hypothek auf die Weinberge. Ich dachte ja, er kauft einen Alterssitz von seinem Ersparten. Weißt du noch, als er uns eines Abends zu sich rief und mir feierlich das Weingut übergab? Ich sei jetzt vierunddreißig, genau im gleichen Alter wie er, als sein Vater ihm das Gut übergeben hatte. Dann reisten sie ab, und erst allmählich wurde mir das ganze Desaster bewusst.«
Bérénice schwieg.
»›Mein Lebenswerk‹«, höhnte Hippolyte. »Genau das hat er gesagt: ›Ich übergebe dir mein Lebenswerk.‹ Ein verschuldetes, heruntergekommenes Weingut!«
Hippolyte war mit der plötzlichen Leitung und den finanziellen Problemen überfordert gewesen, und auch Bérénice hatte erst mühsam lernen müssen, das große Haus allein zu versorgen. Doch für sie war es das Schmerzlichste, dass Hippolyte sich vor ihr zurückzog und sie den Grund dafür nicht kannte. Er wollte allein mit den Schwierigkeiten fertig werden. Damals hatte sie gedacht, ein Kind würde die Verbundenheit, das Lachen und vielleicht sogar die Sorglosigkeit zurückbringen. Ein Kind …
»Manchmal telefoniere ich inzwischen mit meiner Mutter«, unterbrach Hippolyte ihre Gedanken, denn er hatte sich wieder beruhigt. »Sicher werde ich sie demnächst besuchen. Es ist Zeit, mein Leben in Ordnung zu bringen und mit der Vergangenheit abzuschließen«, setzte er ruhig hinzu und kraulte Tristan die seidigen Ohren.
»Du meinst, auch die Sache mit uns abzuschließen?«
Hippolyte antwortete darauf nicht, sondern zuckte nur vage mit den Schultern. »Du musst unbedingt unseren Weißwein probieren«, lenkte er ab. »Eigentlich hat ihn ja noch mein Vorgänger angebaut, aber ich denke, es ist trotzdem unser erster Wein.«
Feigling!, schoss es Bérénice durch den Kopf. Keine Antwort ist auch eine Antwort.
Hippolyte stand auf, holte eine angebrochene Flasche aus dem Kühlschrank und stellte sie mit zwei neuen Gläsern auf den Tisch. »Probier ihn bitte! Er ist gut. Unser erster Wein. Er schmeckt ein wenig wie Sancerre. Im Katalog bezeichnen wir ihn als jungen Weißwein mit trockener Frische und vielfältigen Aromen von Früchten und wilden Kräutern.«
»Er ist ausgezeichnet. Du weißt, ich mag Weißwein. Wie geht es denn mit dem Weingut?« Sie wagte kaum zu fragen, sie wollte nicht hören müssen, dass sich Hippolyte wieder in Schwierigkeiten befand.
»Gut«, antwortete er. »Wir können sehr zufrieden sein. Frank ist mein Teilhaber, und wir haben den hiesigen Bankdirektor mit ins Boot geholt. Du weißt ja, es ist Bernard, mein alter Schulfreund, und er glaubt an mich. Ich denke, in zwei Jahren haben wir es geschafft.«
»Dann bist du jetzt glücklich?« Bérénice sah ihn an.
»Ja«, antwortete Hippolyte, »ja, ich bin glücklich. Ich habe in der letzten Zeit auch viel nachgedacht. Es gibt für alles im Leben den richtigen Zeitpunkt. Um hierher zurückzukehren, war jetzt genau der richtige Moment. Vor ein paar Jahren wäre ich noch gescheitert.«
Bérénice schwieg und dachte an die vergangenen vier Jahre in Paris. Hippolyte war meist unterwegs gewesen, und wenn sie beisammen waren, konnten sie so schnell nicht zueinander finden. Zwischen ihnen standen der Kampf um die finanzielle Existenz in Paris, sein geringes Einkommen, ihre Traurigkeit und ihre Unfähigkeit, Hippolyte zu verzeihen.
»Magst du noch etwas?«
Als Bérénice verneinte, stand Hippolyte auf und räumte das Geschirr in die Spülmaschine.
»Wann geht morgen dein Zug?«, wollte er wissen.
»Um vier Uhr nachmittags.«
»Ich werde das Gästezimmer für dich herrichten, aber vorher muss ich mit Tristan noch eine kleine Runde drehen.« Er beugte sich zu dem Hund hinunter, der es sich vor dem Kaminfeuer bequem gemacht hatte. »Komm, Kumpel!«, forderte er das Tier auf und nahm es am Halsband.
»Ich komme mit nach draußen und warte auf dich.« Bérénice erhob sich rasch und verließ mit Hippolyte und Tristan das Haus.
»Pass auf, dass du dich nicht erkältest!«, warnte Hippolyte sie. »Geh rein, wenn es zu kühl wird! Wir bleiben nicht lange.«
Bérénice zog den Bademantel fester um ihre Schultern und setzte sich auf die Bank neben der Haustür. Stille umfing sie. Sie atmete die frische Luft tief ein und sah sich um. Hinter den knorrigen Ästen des alten Olivenbaumes ging groß und silbern der
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