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Die Stunde der Schwestern

Die Stunde der Schwestern

Titel: Die Stunde der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Maybach
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und in diesem Augenblick.«
    »Was meinst du?« Alarmiert hob Bérénice den Kopf.
    »Damals, als ich hinunter in die Stadt ging.« Hippolyte sprach langsam, leise. »Ich hatte meine ganzen Ersparnisse dabei. Es hatte sich an dem Abend in Saint-Emile eine Pokerrunde eingefunden, für die man sich anmelden musste. Ich gehörte dazu. Ich war entschlossen, Geld zu gewinnen, um die Schulden auf dem Weingut zu begleichen.«
    »Das hast du mir nie erzählt, Hippolyte.«
    »Es hätte nichts genützt. Du wolltest nur glauben, dass ich dich allein ließ, als es dir schlechtging. Du hast mir nicht vertraut, das war das Schlimmste für mich. Aber es war nicht so.«
    Bérénice setzte sich abrupt auf. »Wie war es dann?«
    »Unser Telefon war gesperrt, weil ich die Rechnung nicht mehr bezahlen konnte. Daher rief ich aus Saint-Emile unsere Nachbarin Mireille an und bat sie, nach dir zu sehen und dich ins Krankenhaus zu fahren, falls es nötig sei.«
    »Aber sie ist nicht gekommen.«
    »Nein, später hat sie mir gestanden, dass sie es vergessen hat, da ihr Sohn überraschend zu Besuch kam.«
    Bérénice ließ sich wieder in die Kissen fallen. Sie zog die Bettdecke hoch und blieb starr liegen, als Hippolyte leise weitersprach.
    »Ich war naiv, ich hatte nicht gewusst, dass es sich um Profis handelte, die durch die Städte zogen, verbotene Pokerrunden veranstalteten und die Leute abzockten. So verlor ich mein Erspartes und das Weingut, das haben diese Burschen dann an Hubert Schickele verkauft. Es war entsetzlich, ich hatte mein ganzes Erbe verzockt und uns um unsere Existenz gebracht. Ich war so verzweifelt, und als ich dann nach Hause kam …«
    Bérénice lag ganz still. Sie erinnerte sich an jenes Gefühl des Glücks, nach sechzehn Jahren endlich schwanger zu sein, als sie schon nicht mehr daran geglaubt hatte, jemals ein Kind zu bekommen.
    Sie war im vierten Monat gewesen, als Hippolyte an diesem Abend hinunter in die Stadt ging und sie allein ließ. Sie hatte bereits seit einigen Stunden ein Ziehen im Unterleib gespürt. Doch Hippolyte verließ sie und war auch nicht da, als die Wehen einsetzten. Sie hatte gespürt, dass das Kind herauswollte, hatte die Beine hochgelegt, mit aller Kraft zusammengepresst und mit beiden Händen verzweifelt dagegengedrückt. Aber das Kind drängte aus ihrem Leib, und keine Macht der Welt konnte es zurückhalten. Sie hatte um Hilfe geschrien, geweint und geschluchzt und wusste doch, dass es vorbei war. Endlich nahm sie die Hände hoch, die voller Blut waren. Reglos war sie in der Dunkelheit liegen geblieben, bis sie wagte, auf das zuckende Bündel Mensch zwischen ihren Beinen zu sehen. Es konnte nicht leben, und sie hatte ihm nicht helfen können, länger in ihrem Leib zu bleiben.
    »Es hat geschrien«, flüsterte Bérénice jetzt, »es war schrecklich. Ich bin mir sicher, es hat geschrien. Und das viele Blut …«
    Hippolyte neigte sich zu ihr herunter, sein Gesicht war über ihr, und sie spürte die Wärme seines Körpers, den Trost seiner Hände, die sie streichelten.
    »Es war ein Sohn, und wir haben nicht auf ihn aufgepasst, wir haben sein Leben nicht geschützt …« Sie konnte nicht vergessen.
    Hippolyte umschloss sie fest mit seinen Armen. »Im Krankenhaus hat doch der Arzt gesagt, es sei nicht lebensfähig gewesen, auch wenn du früher eingeliefert worden wärst. Niemand ist schuld, hörst du Bérénice, niemand ist schuld«, betonte er. »Es hat auch sicher nicht geschrien, das war in deiner Phantasie. Bérénice, es war nur in deiner Phantasie. Es war nicht lebensfähig. Du musst endlich vergessen.«
    Dann hüllte Schweigen sie ein, und sie umarmten sich und liebten sich und konnten sich nicht voneinander lösen.
    Es war fast Mittag, als sie endlich aufstanden. Während Bérénice im Bad war, deckte Hippolyte vor dem Haus den Tisch für ein spätes Frühstück. Wortlos nahm Bérénice Platz und sah zu, wie Hippolyte ihr Kaffee einschenkte.
    »Ich habe keinen Hunger«, wehrte sie mit beiden Händen ab, als Hippolyte ihr ein Stück Baguette, bestrichen mit Butter und Marmelade, auf den Teller legen wollte.
    »Wann kommt Marie-Luise zurück?«, fragte sie dann, obwohl sie wusste, dass seine Antwort sie verletzen würde.
    »Heute Abend«, erwiderte Hippolyte ruhig.
    »Wirst du’s ihr sagen?«, fragte Bérénice. »Ich meine, dass wir miteinander geschlafen haben.«
    Hippolyte zuckte mit den Schultern und pfiff dann Tristan zurück, der einem Schwarm Vögel nachjagte.
    Bérénice stellte

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