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Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Titel: Die Stunde der Seherin - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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sich für eine Kutte, die nicht ganz so zerfetzt war wie die anderen Lumpen. Zusammen mit wollenen Unterkleidern und dem Mantel des Mórmaer würde sie vor dem Erfrieren geschützt sein.
    Auch für das Stundenbuch fand sie eine neue Hülle, es schien ihr nicht richtig, die alte zu nehmen, die den Fahlen noch erlebt hatte. Der Mönch hatte unter seinen Schätzen ein paar Altartücher, die sie um das Buch herumwickelte, um es auch für die Heimreise vor begehrlichen Blicken zu schützen. Keiner der Männer wagte es, sie bei ihrem Tun zu belästigen. Sie schwiegen und ließen sie gewähren, Máelsnechtai auf eine sehr grimmige Art. Nial ging sogar die Pferde suchen, obwohl es ihm sicher schwerfiel, sie in Gegenwart seines Bruders zurückzulassen. Doch den fürchtete sie nicht mehr. Sie fürchtete niemanden mehr, und das schien er zu wissen.
    Die schwarze Stute trug Blätter in der Mähne. Das Pferd hatte die Nacht wohl liegend verbracht, es wirkte ausgeruht und würde Christina wohlbehalten nach Hause tragen. Sie hielten ihr das Pferd fest und halfen ihr beim Aufsteigen, und es war offensichtlich, dass jeder von beiden bedauerte, die Angelsächsin nicht auf dem eigenen Pferd mitnehmen zu müssen.
    »Ich werde schweigend nach Dunfermline zurückkehren«, setzte Christina dem noch eins drauf und ließ ihren Blick zwischen den beiden Männern hin- und herwandern. »Ich werde beten und Gott danken, dass Er mir beigestanden hat in dieser Prüfung meines Lebens. Wenn Ihr mögt, schließt Euch mir an …«
    »Wie – Ihr wollt mich schon wieder vertrösten?«, blaffte Máelsnechtai da los.
    Sie lächelte ihn an, mit mehr Freiheit im Blick, als er vermutlich jemals erlebt hatte. »Ja, hlæfweard .« Und sie nahm den Zügel auf. »Wollen wir?«
    Die Klosterruine sah ihnen nach. Sie duckte sich unter den hohen Tannen, die bald von ihr Besitz ergriffen haben würden, weil nun niemand mehr da war, um der Natur Einhalt zu gebieten. Dennoch umwehte ein Wind der Befreiung die Mauerreste. Zusammen mit dem alten Hüter hatten in der vergangenen Nacht auch Hass und Rachsucht ihr Grab gefunden und etwas Neuem Platz gemacht. Eines Tages …
    Die Ruine versank im Gebet für die kleine, tapfere Frau, die ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatte und mit großem Mut den Begehrlichkeiten des Teufels entgegengetreten war.
    Gott sah die Heimreise der drei mit Wohlgefallen und hielt alle Unbill von ihnen fern. Er sandte ihnen ein mildes Winterwetter, damit sie nicht frieren mussten, Er sorgte für einen sicheren Tritt der Pferde und für einen störungsfreien Weg. Des Mórmaer schier unerschöpflicher Münzenvorrat versorgte sie mit Nahrung selbst dort, wo es keine zu geben schien, und öffnete ihnen Türen für ein Nachtlager.
    Die Männer respektierten ihren Wunsch nach Schweigen und Gebet, und nur manchmal hörte sie, wie sie leise stritten – über die Richtung, die nächste Pause oder wer von ihnen Wasser holen gehen musste.
    Das Weihnachtsfest war vorüber, erfuhren sie auf dem Weg zum Forth. Weihnachten hatte in den verwüsteten Ländern des Normannen keine Rolle gespielt, niemand hegte dort noch Hoffnung, niemand war mehr dort, um einen christlichen Jahreskalender aufrechtzuerhalten – jedermann dachte nur noch daran, wie er den nächsten Tag überleben sollte. Vom Normannen hörte man, dass er York nach längerer Belagerung endgültig eingenommen und das Weihnachtsfest in der Stadt gefeiert hatte – ein Hohn für die leidende Bevölkerung, der Wilhelm damit nur auf ein Neues demonstrierte, wie ein Sieger auf den Köpfen der Besiegten tanzte. Bis zur schottischen Grenze war darüber nichts als Verachtung zu spüren.
    Christina hatte sich vollkommen von alldem befreit. Das Gebet half ihr, diese Reisetage, für die sie eigentlich keine Kraft mehr besaß, zu überstehen … Nials scheue Fürsorge stärkte ihr den Rücken, obwohl er sie kaum zeigen konnte. Sie fassten sich nachts bei den Händen und schliefen so miteinander verbunden ein – alles Weitere hätte der Mórmaer bemerkt, der sie nicht aus den Augen ließ.
    Ein einziges Mal brach sie ihr Schweigen, mitten in der Nacht in einer Scheune, als Máelsnechtais gleichmäßige Atemzüge verrieten, dass er nach einer Kanne Starkbier tief und fest schlief und sie Nial aber wach wusste – er schlief fast nie und wachte über sie, damit sie keine Angst haben musste.
    »Nial.« Statt einer Antwort fuhr er mit der Hand an ihrem Arm entlang – er war hellwach. Vorsichtig rückte sie näher.

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