Die Stunde der Seherin - Historischer Roman
vielleicht die Brüder der Weihrauchwolken, mit denen er Margarets Gebetszeit eingehüllt hatte. Die Dunkelheit war die gleiche, die Kälte und auch der Hunger waren die gleichen, die auch Margaret gebissen hatten, weil sie sich für die Zeit des Wartens strenges Fasten auferlegt hatte.
Dieses Kleid um sie herum war wohltuend und gab ihr Sicherheit, denn sie hatte nachzudenken. Über das, was am Nachmittag in diesem Haus geschehen war.
Der König hatte die von Máelsnechtai angezettelte Prügelei schnell und brutal beenden lassen – der Mórmaer verbrachte die Nacht wie seinerzeit Ruaidrí nackend auf dem Burgfried, und das hatte sie ihrer Schwester zu verdanken, die sie vor dem Schotten in Schutz genommen hatte. Nial hatte man für die Prügelei fünf Hiebe verpasst, die dieser stoisch ertragen hatte – offenbar nicht die ersten Hiebe seines Lebens. Die Versammlung vor der Kathedrale hatte sich dann schnell aufgelöst, weil der Wind empfindlich kalt wurde und in der Burg warmes Essen lockte. Und Malcolm wollte ja nun Hochzeit feiern, wie er immer wieder mit glänzenden Augen verkündete. Endlich seine Königin, endlich seine Margaret in Armen halten, endlich …
Christina lächelte. Vor Vorfreude hatte der Schottenkönig tatsächlich wieder zu stottern begonnen, und Margaret hatte ihn vor allen Leuten geküsst, bevor das Paar sich mit all den Zeugen, die vor Neugier vergingen, ob die Braut vor dem Vollzug nun ein weiteres Mal in Ohnmacht fallen würde, in das Königsgemach zurückgezogen hatte. Sie, Christina, hatte die Oberhalle nicht mehr betreten. Zu viele Erinnerungen hingen an dem Geschoss – an Mädchengekichere bei Kerzenlicht und an Katalin und ihre Geschichten, vor allem um die Geschichten über táltos, dessen Kraft sie immer noch in sich spürte, doch nun nicht mehr beunruhigend, sondern als Teil von sich, so wie sie das Pferd als Teil von sich empfunden hatte. Es war verschwunden, niemand hatte es gesehen, aber irgendwie war sie sicher, dass sie die schwarze Stute wiedertreffen würde …
Sie hatte dem Saal den Rücken gekehrt. Hatte Agatha und Edgar glücklich zurückgelassen und eine verliebt dreinschauende Margaret. Niemand vermisste sie, niemand fragte nach der Zwergin, die keine mehr war. Selbst der Grund für die Prügelei schien vergessen – der Abgewiesene hockte ja frierend auf dem Turm, und Nial …
Nial.
Nial hatte sie flüchtig in Gesellschaft des Bischofs gesehen, später dann im Gespräch mit wild dreinschauenden Hochlandschotten, die sich bunte Bänder in ihre geflochtenen Bärte gebunden hatten, wohl um der Braut Ehre zu erweisen. Leider hatten sie sich nicht gewaschen, was Margaret sichtlich aufstieß. Als Christina ihre Mahlzeit beendet hatte, war Nial nicht mehr zu sehen gewesen.
Und nun saß sie hier, allein im Halbdunkel, am Scheidepunkt ihres jungen Lebens. Sie hatte vor Zeugen eine Eheschließung abgelehnt und sich den Schleier gewünscht – ein Lebensentwurf, der eigentlich immer Margarets Traum gewesen war. Sie rollte ihn vor ihrem inneren Auge hin und her und betrachtete ihn von allen Seiten … eines würde er ihr auf jeden Fall schenken: Sicherheit. Die Sicherheit eines Klosters, einer Gemeinschaft, die Sicherheit von Achtung durch die Mitschwestern – und auch die Sicherheit vor männlicher Zudringlichkeit, wie sie sie in den vergangenen Tagen erlebt hatte. Noch nachträglich schüttelte sie sich in Erinnerung an Máelsnechtais zupackende Gier.
Und nun war es genau andersherum: Die Schwester, deren Traum es gewesen war, ihr Leben Gott zu weihen, teilte das Leben eines Mannes. Und die, für die stets eine Ehe vorgesehen gewesen war, um dem Bruder Wege zu ebnen, hatte sich nun für das Klosterleben entschieden, weil sie nicht Teil eines Männerlebens sein wollte.
Sie lächelte ins Halbdunkel. Ja, vermutlich steckte genau das hinter ihrer Entscheidung. Und je länger sie darüber nachdachte, desto wohler fühlte sie sich damit.
Das Portal fiel ins Schloss. Jemand hatte die Kathedrale betreten. Noch bevor sie ihn sah, wusste sie, dass Nial gekommen war. Stumm glitt er auf den Stein neben sie, und er sparte sich sogar das Kreuzzeichen, als ob alles, was es hier zu tun gab, bei einem Sünder wie ihm sowieso vergebens war. Vielleicht war er auch zu aufgeregt. Sie hörte, wie heftig er atmete, und das nicht von schnellem Lauf.
»A finibus terrae ad te clamavi«, flüsterte sie und griff nach seiner Hand, »dum anxiaretur cor meum. In petram inaccessam mihi deduc me!
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