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Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Titel: Die Stunde der Seherin - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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die Brust gesteckt und ihn noch in der Schlacht von seinem Pferd zu Tode schleifen lassen, an all den tapferen Kriegern von Moray vorbei. Mein Vater starb wie ein gemeiner Verbrecher.«
    Er machte eine wirkungsvolle Pause. »Und ich musste vor seinem Mörder das Knie beugen und Treue schwören. Damals. Heute – hier. Vor den Augen Schottlands.« Seine Augen waren unter den buschigen Brauen kaum noch zu erkennen, und doch blitzten sie wie feine Dolche aus dem Dunkel. »Ihr könnt Euch vorstellen, hlæfdige , dass so etwas die Galanterie im Keim erstickt.« Und dann kam er auf sie zu, so nah, dass sie seinen Atem im Gesicht spürte.
    »Man lernt daraus, hlæfdige . Man nimmt, was man kriegen kann. Man nimmt, was einem zusteht.« Und dann fasste er wieder nach ihrem Kinn. »Werdet mein Weib. Ihr seid die Schwester der Königin, Ihr seid ein Schatz, den zu heben es sich lohnt. Folgt mir als Frau des Mórmaer nach Moray, Ihr werdet es nicht bereuen.«
    Sie starrte ihn entsetzt an. Im flackernden Licht der Fackel schienen kleine schwarze Kobolde über sein Gesicht zu tanzen. Sie trugen Schwerter, und als er den Kopf drehte, verbargen sie sich im Dickicht seines Bartes, um dort zu warten. Er war der Erste, der es laut ausgesprochen hatte, was andere nur dachten: Sie war ein Schatz und als Schwester der Königin von Schottland äußerst wertvoll. Dieser Mann wurde nicht nur von leiblicher Begierde getrieben, sondern auch Rachsucht. Er machte ihr damit noch mehr Angst als der Earl von Mercia.
    Als am Kopf der Tafel Jubelgeschrei ausbrach und man den König und seine neue Frau hochleben ließ, drehte er sich von ihr weg, und sie nutzte die Gelegenheit, die Ecke hinter seinem Rücken schnell zu verlassen.
    Doch niemand war mehr da, mit dem sie ihre Sorgen hätte teilen können, denn Katalin hatte man aus der Halle fortgebracht, weil sie, wie eine Magd mit großen Augen berichtete, erst ihr Essen erbrochen und dann zu schreien begonnen hatte. Christina langte nach einem halb vollen Becher und trank ihn durstig leer. Ein zweiter stand daneben, auch hier waren noch ein paar Schlucke drin. Sie hob ihn an den Mund.
    »Weiber sollten nicht so viel saufen«, befand da die Magd und fegte das Erbrochene vom Tisch in die Binsen, wo sich sogleich die Hunde darauf stürzten. »Egal ob alt oder jung, hlæfdige .« Über so viel Frechheit verging Christina der Durst, und sie nahm den Becher mit sich.
    Der Atem der Amme ging flach. Man hatte sie in die Kammer gebracht und dort aufs Lager gebettet. Weil in der Halle die Feier lustig weiterging und der Koch das gebratene Schwein hatte auftragen lassen, war niemand bereit gewesen, bei dem alten Weib zu bleiben – Christina hatte Katalin alleine vorgefunden.
    Ihr Gesicht fiel zusammen wie ein dahinwelkendes Blatt. Während der Stunden, die sie so dagelegen hatte, war es bläulich angelaufen. Zunächst war Katalin noch wach gewesen und hatte zusammenhangloses Zeug gefaselt, von Gift gestammelt und wie irre gelacht, dann war sie in einen tiefen Schlaf gefallen, aus dem sie immer nur kurz hochschreckte.
    Christina tupfte ihr über die Stirn. Sie wird gehen, dachte sie. Ich kann sie nicht halten. Gott, warum quälst Du uns so? Seit Stunden hockte sie am Lager der Alten und sah hilflos ihrem langsamen Sterben zu. Sie hatte versucht, ihr zur Stärkung den Wein einzuflößen, den sie sich aus der Halle mitgebracht hatte, doch Katalin konnte nicht schlucken.
    Margaret oder Agatha hatte sie nichts gesagt. Die Hochzeit sollte durch nichts gestört werden, morgen wäre immer noch Zeit, an das Lager der alten Dienerin zu kommen. Morgen. Sie stützte den Kopf auf die Arme. Morgen allerdings war Katalin vielleicht nicht mehr da …
    Viele Male hatte sie versucht, die Kraft in sich zu suchen, um Katalin zu helfen. Hatte immer wieder ihre Hände betrachtet, nach dem Feuer in sich gesucht, aber den Weg nicht gefunden. Sie konnte ihre Gedanken einfach nicht sammeln. Es war fort. Warum hatte sie Ruaidrí helfen können – warum ihm und der geliebten Amme nicht? Seufzend rieb sie sich das Gesicht. War es etwa Nial gewesen, der sie gestützt hatte? Seine Gegenwart, daran erinnerte sie sich, war so besonders gewesen, er hatte genau gewusst, was sie tat, wohin sie ging und dass sie flog – und er war die ganze Zeit bei ihr gewesen, daran erinnerte sie sich auch noch.
    Entsetzliche Sehnsucht zog ihr Herz zusammen. Nial … würde sie ihn je wiedersehen? Sie wiegte sich in der Erinnerung, wie sie es lange Zeit vor

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