Die Stunde der Seherin - Historischer Roman
war er ins Straucheln geraten und offenbarte damit, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit kein geübter Betrachter von Stundenbüchern war. Margaret neigte den Kopf, und wieder brandete Jubel vor der Kirche auf. Allein durch ihre Anmut hatte sie die Herzen der schottischen Edelleute im Sturm erobert. Sie folgten dem Hochzeitspaar drängelnd in die Kathedrale, um Fothads Gottesdienst zu lauschen, vor allem aber, um die Braut anzuschauen und Gott zu danken, dass Er Schottland so eine schöne Königin geschenkt hatte.
Der Truchsess von Dunfermline stieß vernehmlich seinen Stab auf den Boden.
»Den Worten sei nun Genüge getan«, rief er aus, »lassen wir den Worten Taten folgen … ähm … und die Hochzeit unseres Königs gebührend … ähm … feiern! In der Halle ist das Festmahl angerichtet!«
Die Ersten hatten zu Beginn seiner Verkündung bereits das Kirchenportal erreicht und drängten durch die schmale Tür. Niemand hier war es gewohnt, endlose Messen in Stille und Andacht auszuhalten. Seit dem Tod von Königin Ingibjörg, so erzählten sich die Dienstleute, war die Kirche ziemlich verwaist. Selbst im Altarraum wartete man ungeduldig darauf, dass der König sich in Bewegung setzte und den Auszug der Vornehmen anführte. Der jedoch betrachtete gespannt seine neue Frau, die ihre weibliche Neugier kaum im Zaum zu halten wusste. Margaret hatte nämlich das goldene Buch aufgeschlagen, obwohl sie es kaum auf den Händen balancieren konnte, und schlug gerade eine Seite um. Christina lächelte belustigt – das sah ihrer Schwester mal wieder ähnlich: Ein Stundenbuch voll Gottesworte war ihr wichtiger als alle Köstlichkeiten, die auf den Tischen in der Halle dufteten, lockten und warteten …
Margaret strauchelte, stolperte.
Malcolm griff im Gedränge nach ihrem Ellbogen, fing sie auf, schaute sogleich auf den Boden, worüber sie gestolpert sein mochte. Doch da war nichts. Margarets Gesicht war schneeweiß. Hastig schlug sie das Buch zu. Und versuchte ein Lächeln, als wäre tatsächlich nichts gewesen. Aber Christina hatte es gesehen, vielleicht war sie die Einzige. Die Wangen der Schwester waren immer noch bleich. Gerade nahm der Schatzmeister das Buch entgegen, und Christina nutzte die Bewegung um das Paar herum, um dichter an Margaret heranzukommen.
»Was war?«, flüsterte sie aufgeregt. »Was war, Magga?«
Der Blick, der sie traf, trug die Düsternis eines Trauergewandes. Furcht und Schrecken saßen beieinander, überdeckten sich gegenseitig. Dann reckte Margaret den Kopf.
»Nichts. Es ist nichts.«
Doch ihre Hand, die auf Malcolms Arm lag, zitterte.
VIERTES KAPITEL
Meine Seele sie stille zu Gott,
der mir hilft.
Denn er ist mein Hort,
meine Hilfe, mein Schutz.
(Psalm 62,2-3)
D er Vorbeimarsch der Hochzeitsgäste nahm kein Ende. Bärtige Männer in bauschigen, sehr bunten Wollmänteln, deren mit Bändern verzierte Bärte bis auf die Brust herabhingen, gingen an dem Hochzeitspaar vorüber, neben sich ihre Weiber in ähnlichen Mänteln, von denen manches so aussah, als hinge ihm ein unsichtbarer Bart aus dem Gesicht. Dicke, fleischige Frauen mit harten Augen und unaussprechlichen Namen, die ein Zeremonienmeister gleichgültig herunterbetete. Ihre Sprache war ein unverständliches Gemisch aus breiten Lauten und spuckenden Lispeltönen, und sie gaben sich keine Mühe, sich verständlich zu machen. Sie verneigten sich nur knapp, und fast hatte es den Anschein, je röter das Haar der Frauen, desto geringer die Ehrerbietung für die neue Königin.
Margaret blieb freundlich, nahm jede noch so unfreundliche Begrüßung mit einem Lächeln entgegen und ließ sich nicht anmerken, dass sie die Geringschätzung dieser wilden Menschen durchaus erfasste. Den König schien das nicht zu stören, er unterhielt sich angeregt, und als Margaret stürzte, war nicht er es, der sie auffing, sondern ein schwarzhaariger, großer Mann in einem farbenfrohen, üppig drapierten Umhang. Mit einer Stimme, die es gewohnt war zu befehlen, dirigierte er einen Sessel herbei, und Malcolm musste mit ansehen, wie ein anderer schneller war und sein Weib auf das bequeme Lager bettete.
»Ich danke Euch«, sagte Margaret und schenkte ihrem Retter ein bezauberndes Lächeln.
»Euer Diener, hlæfdige .« Der Schwarzhaarige neigte das Haupt. Dann erst machte er dem besorgten König Platz und schob sich durch die Menge davon. Christina verlor ihn aus den Augen.
Das Gedränge wurde dichter. Man hatte das gebratene Rind auf dem Spieß
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