Die Stunde der Seherin - Historischer Roman
weitersprechen würde. Durstig trank der Geistliche den letzten kleinen Schluck, der sich darin befand.
»Habt Dank. Ich werde, nachdem das Paar mit Gottes Segen nun vereint ist, ein wenig beten.« Seine Wangen färbten sich rot, und ein paar Mal leckte er sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. »Ich … nun. Ich …« Er tastete nach seinem Ministranten. »Ich will … seid so gut …« Er schwankte. Christina dachte, dass er bei Tisch so gut wie nichts gegessen hatte – noch einer, dem das Fasten nicht bekam.
Doch viel schlimmer, er fiel um, einfach so. Wie aufgeregte schwarze Vögel flatterten seine Ministranten um ihn herum, fächelten ihm Luft zu und tätschelten ihm die Wangen. Zwei von ihnen sanken auf die Knie und beteten laut um Gottes Erbarmen, jemand holte Wasser, zwang ihn zu trinken, und das rettete ihm möglicherweise das Leben. So richtig hatte auch niemand Augen für einen altersschwachen Priester, ob er nun Bischof war oder nicht, denn die Schaulustigen waren von Malcolm zwar hinausgeworfen worden, doch drängten sie nun tuschelnd und brummend vor der Tür auf dem Flur. Bis zur Wendeltreppe standen sie, es musste ja nun doch losgehen. Endlich würde Schottland eine neue Königin haben!
Christina flüchtete vor der Neugier, der Betriebsamkeit und der Sensationslust, als Fothad die Augen aufschlug und von Dämonen sprach, die er gesehen haben wollte. Sie flüchtete auch vor dem Ton, der ihr Ohr peinigte – diesmal nicht als Melodie, sondern als schriller Pfeifton. Wie ein bissiger Wurm durchdrang er ihren Kopf. Sie schlug beide Hände auf die Ohren. Der Ton wurde nur schriller.
»Dämonen vor der Königskammer!«, ging es flüsternd durch die Menge. »Blut!«, raunte jemand. Eine Frau begann zu schluchzen, die Ministranten beteten ein Kyrie. Der Dämon blieb verschwunden. Christina schlug die Tür zur Weiberkammer zu und presste sich gegen das raue Holz. Die stickige Luft der Kranken erschien ihr wie ein Frühlingsmorgen im Vergleich zu dem Gedränge da draußen, und das Pfeifen im Ohr ließ etwas nach. Doch noch konnte sie sich nicht entschließen, auch nur einen Fuß vor den anderen zu setzen …
Ein dumpfer Knall erschütterte die Wände des Geschosses. Rufe ertönten, helle Aufregung drang durch alle hölzernen Ritzen. Jemand rief laut um Hilfe – im Gemach des Königs. Eine Männerstimme rief um Hilfe.
»Rasch, zu Hilfe! Wo ist die Schwester? Bringt mir die verdammte Schwester her!«, brüllte der König durch den Lärm. Eilige Schritte rannten über die hölzernen Planken hinauf und hinab, die Schwester, wo war die Schwester – die Wände zitterten, als immer mehr Menschen sich auf den Planken in Bewegung setzten und Rufe ertönten: »Bringt die Schwester!«
Christina starrte auf Katalin, die sich nicht bewegt hatte. Ihr Herz schlug dumpf … irgendetwas war da draußen geschehen. Margaret war irgendetwas geschehen. Ihr zitterten die Knie. Also doch ein Dämon. Und Fothad hatte ihn gesehen. Diese Burg war verwünscht, von Anfang an hatte sie das doch gewusst! Katalin würde sie jetzt stützen, sie begleiten, an ihrer Seite sein, wenn sie das Zimmer verließ … doch Katalin lag dort ohne Bewusstsein und würde ihr vielleicht nie wieder helfen können. Furcht fiel über sie wie ein nasser Mantel in eisigem Wind. Das Gefühl der Einsamkeit biss sich in ihrem Nacken fest. Immer noch konnte sie ihren Platz an der Tür nicht verlassen, lehnte dort wie erstarrt. »Oh … Gott!«, stöhnte sie, und wie von selbst falteten sich ihre Hände, und sie stammelte: »Gott, steh uns bei … steh uns bei, was auch immer geschieht … steh uns bei! Hab Erbarmen, steh uns bei …«
Und diesmal erhörte Er sie, denn er legte ein wenig Zuversicht in ihr Herz. Es war nicht genug, um die Furcht zu übertönen, aber es schenkte ihr die Kraft, sich umzudrehen, die Tür zu öffnen und sich ein weiteres Mal durch die Menge da draußen zu schieben.
Ein Diener stand bereits vor der Kammertür, drängte die Neugierigen beiseite. »Rasch«, stieß er in schlechtem Angelsächsisch hervor, »rasch, kommt!« Und er packte sie ohne Umstände am Arm und zog sie hinter sich her und in die Kammer, wo Leute herumstanden und das Entsetzen wie eine regungslos wartende Spinne über ihren Köpfen hing.
Margaret lag auf dem Boden des Gemachs. Ihr Brautkleid umhüllte sie wie eine blaue Wolke und hob die Blässe ihres Gesichts noch hervor. Niemand hatte gewagt, ihre Beine zu bedecken, niemand hatte daran gedacht, eine
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