Die Stunde Der Toechter
rissigen Holzboden. Postwendend läutete es wieder. Nach dem vierten Mal stand Johanna auf.
»Habe ich dich geweckt? Es ist halb zehn!«
Also zog sie sich an, frühstückte mit den beiden anderen Frauen und raste anschließend nach Zürich, um einen Polizisten zu treffen, der ihr unter keinen Umständen hatte sagen wollen, worum es ging, den sie nur vom Telefonieren kannte, der eine nette Stimme hatte, aber idiotisch hieß, und von dem sie noch nicht einmal wusste, ob er morgens Konfitüre auf den Käse strich.
9.
»Ich bin krankgeschrieben!«
»Das weiß ich.« Kevin von Kranach sah aus, wie er am Telefon geklungen hatte. Groß, blond, Augen wie das Meer. Er war älter als Johanna und setzte langsam Fett an.
»Der Kran ist in Ordnung«, hatte Grazia gesagt, als Johanna sie von der Autobahn aus angerufen und sich nach ihrem Kollegen erkundigt hatte. »In der Polizeischule war er unser Dozent für verdeckte Ermittlungen. Er ist clever. Obschon er so gut aussieht.«
Sie saßen in einem Büro der Kriminalpolizei in der Zeughausstrasse. Auf dem Tisch standen eine Flasche Mineralwasser und zwei volle Gläser. An der Wand hingen Wimpel ausländischer Polizeikorps. Auf den ersten Blick fielen Johanna jene aus Johannesburg und São Paulo auf. Normalerweise sah man in diesen Büros vor allem Trophäen aus Frankfurt, London und Miami. Hinter dem Schreibtisch hing ein Rechtsdiplom der Universität Zürich. Und eine Urkunde des FBI. Offenbar war von Kranach einer der Auserwählten, die den internationalen Lehrgang in Quantico absolviert hatten.
»Hast du Kopfschmerzen?« Er schien es ernst zu meinen.
»Im Moment gerade nicht.«
»Schlaflosigkeit?«
»Immer.«
»Sehstörungen?«
»Wenn du mich so stechend anschaust, krieg ich welche. Was soll das Ganze eigentlich?«
Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Das sind mögliche Leiden nach Gehirnerschütterungen.«
Johanna deutete auf die Tür. »Dann sollte ich schleunigst nach Hause gehen und die Beine hochlegen. Oder doch besser den Kopf?«
Zum ersten Mal lächelte er. Es stand ihm gut. »Ich möchte, dass du für mich arbeitest. Diskret und sofort. Wenn du dich fit fühlst, können wir beginnen. Offiziell bleibst du krankgeschrieben.«
Johanna blickte das FBI-Dokument an der Wand an. »Kriege ich eine Lizenz zum Töten?«
Von Kranach ging nicht darauf ein und fixierte sie stumm.
Sie hielt die Stille nicht lange aus. »Es läuft eine Untersuchung gegen mich. Weil ich zwei Gangster gestellt und ein Dienstauto an die Wand gefahren habe. Es könnte sein, dass ich deswegen mit kurz geschorenen Haaren durch die Bahnhofstrasse getrieben werde.«
Er verzog keine Miene. »Das passt ausgezeichnet in meinen Plan. Wenn du deinen Job gut machst, wirst du unehrenhaft entlassen und ich werde befördert.«
Danach quälte er Johanna wiederum mit Schweigen.
»Hör auf mit den Spielchen, Kevin! Bevor ich zusage, will ich wissen, was ich tun muss. Und eines sag ich dir: Mit der Chefin gehe ich nicht ins Bett.«
Einen Herzschlag lang saß er mit offenem Mund da. Dann lachte er. An ihre Sprüche würde sie ihn gewöhnen müssen, wenn das etwas werden sollte.
Von Kranach stand auf, ging zu seinem Schreibtisch, öffnete eine Schublade und zog einen gelben Umschlag hervor. Erst jetzt fiel ihr auf, dass er einen Gürtel aus Echsenleder trug. Einen, wie sie ihn auch gern gehabt hätte. Dazu Jeans, ein schwarzes Hemd und sportliche Lederschuhe. Unvermittelt sah er sie an. Sie vermutete, dass er bemerkt hatte, wie sie ihn musterte. Mit ernstem Gesichtsausdruck kam er zurück an den runden Sitzungstisch und schob Johanna den Umschlag zu. Sie öffnete ihn. Es waren Fotos von Bernhard Stämpfli. Und von ihr. Vor der Kirche in Burgdorf und beim Leichenschmaus.
Von Kranach setzte sich. »Ich leite ein kleines Joint-Investigation-Team, das gegen illegalen Kunsthandel ermittelt. Wir arbeiten eng mit der Kantonspolizei zusammen. Je nach Fall werden die notwendigen Spezialisten aus beiden Korps zusammengezogen. Stämpflis Name steht ganz oben auf unserer Liste. Wirklich Gravierendes konnte ihm noch nie nachgewiesen werden. Das will ich ändern.« Er machte eine kurze Pause, fuhr aber fort, bevor die Stille unangenehm wurde. »Wir arbeiten verdeckt. Seit Monaten versuchen wir, mit ihm ins Geschäft zu kommen und ihm Ware abzukaufen. Scheinkäufe erleichtern die Beweisführung. Allerdings versteht Stämpfli sein Handwerk. Er ist ungemein vorsichtig. Am Montagabend hätte eine Übergabe
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