Die Stunde Der Toechter
stattfinden sollen. Dabei sind uns die beiden Killer dazwischengekommen. Offenbar mischt jemand Drittes mit.«
Er hatte die Beine übereinandergeschlagen und beobachtete Johanna. Die klaubte ihre Zigaretten hervor und blickte von Kranach fragend an. Zögernd schüttelte er den Kopf. Sie steckte die Packung wieder weg.
»Was genau wollt ihr ihm abkaufen?«
Von Kranach ging abermals zu seinem Schreibtisch und kam mit einem dicken Ringordner zurück. Verschiedene Seiten waren mit gelben Zettelchen markiert. Er schlug eine auf, schob die Fotos beiseite und legte den Ordner vor Johanna auf den Tisch. Dann blieb er neben ihr stehen. Sein Parfum kam ihr bekannt vor, doch konnte sie sich nicht erinnern, was es war.
»Das sind Zylindersiegel. Damit hat man vor viertausend Jahren seine Unterschrift unter den Vertrag gesetzt, wenn man eine Frau gekauft hat.«
Johanna blickte auf. »Du versuchst gerade, mich zu kaufen. Womit unterschreibst du?«
Er lächelte nur ganz kurz. »Diese Siegel stammen aus Mesopotamien. Die ältesten datieren auf 3500 vor Christus. Sie sind etwas kleiner als ein menschlicher Daumen und wurden an einer Schnur um den Hals getragen. Wenn man sie über feuchten Ton rollte, entstand ein Relief. Das war die Unterschrift. Auf dem Schwarzmarkt ist so ein Ding vierhunderttausend Franken wert.«
»Ups.« Johanna schaute zu ihrem Kollegen auf. »Wie viele davon wolltet ihr Stämpfli abkaufen?«
Stoisch hob er seine linke Hand und zeigte ihr seine langen, schmalen Finger.
»Fünf Stück? Zwei Millionen! Das ist eine fette Investition in eine Ermittlung mit unsicherem Ausgang.«
Er räusperte sich. »Dieser Kauf wäre der Köder gewesen. Wir sind hinter Größerem her.«
Johanna hob die Augenbrauen.
Nach einer seiner obligaten rhetorischen Pausen fuhr von Kranach fort. »Das Geld stammt vom Bund und der UNO. Keine Polizei könnte einen solchen Betrag finanzieren. Das ist eine internationale Ermittlung. Wir arbeiten mit den Bundesbehörden zusammen.«
Von Kranach beugte sich über sie und blätterte in dem Ordner. Etwas Schweißgeruch vermischte sich mit dem Parfumhauch. Durchaus nicht unangenehm. Als er das Gesuchte gefunden hatte, ging er wieder zu seinem Platz und setzte sich. Er schenkte Johanna Wasser nach.
»Du musst viel trinken. Das hilft gegen Kopfschmerzen.«
»Danke, gütiger Vater.«
Von Kranach deutete mit dem Kopf auf die aufgeschlagene Ordnerseite. Dort waren sieben Fotos abgebildet.
Johanna las die Legenden vor. »Der Frauenkopf von Warka, circa 3100 vor Christus. Die Löwin und der Nubier, 18. Jahrhundert vor Christus. Die goldene Harfe von Ur, 2900 bis 2700 vor Christus. Zwei Tafeln aus den Königsgräbern von Ur, 2600 bis 2500 vor Christus. Elfenbeinernes assyrisches Kopfbrett, 9. Jahrhundert nach Christus. Das Kohlebecken von Nimrud, 9. Jahrhundert nach Christus.« Langsam dämmerte ihr, worum es ging. »Ist das Raubgut aus einem Museum? Dem in Bagdad vielleicht?«
Ihr Gegenüber gönnte sich ebenfalls einen Schluck Wasser. »Das könnte die Einkaufsliste eines sehr exquisiten, unglaublich reichen und absolut skrupellosen Kunstsammlers sein.« Er balancierte das Wasserglas mit Daumen und Zeigefinger zu seinem Mund und von dort zurück auf den Tisch. »Diese sieben Kunstwerke sind alle aus dem Nationalmuseum in Bagdad gestohlen worden. Zusammen mit anderen Ausstellungsobjekten wie diesen Zylindersiegeln. Als die Amerikaner im Irak einmarschiert sind, ist das Museum geplündert worden. Diese sieben Objekte gehören zu den kostbarsten Stücken, die das Museum überhaupt hatte. Wie durch Zauberhand waren sie kurz vor dem Fall Bagdads auf einem Tisch im Restaurationsraum des Museums gelandet. Dort haben sie ungesichert gelegen, bis sie jemand während des amerikanischen Einmarsches einpackte und wegschaffte.« Er beugte sich vor und legte seine Hände flach auf den Tisch. »Es geht um das elfenbeinerne Relief aus dem 18. Jahrhundert vor Christus. Es zeigt eine Löwin und einen nubischen Knaben. Bis heute ist es nirgends aufgetaucht. Wir glauben, dass Stämpfli es hat. Ich möchte, dass du mir hilfst, ihn dranzukriegen, Jo.«
Es war das erste Mal, dass von Kranach Johanna mit ihrem Spitznamen ansprach. Er lehnte sich zurück und wartete auf Johannas Antwort.
Diese schaute das Relief an. »Wird dieser Knabe von der Löwin angegriffen?«
Von Kranach machte eine vage Handbewegung. »Das werden wir nie wissen. Oder besser gesagt, muss das jeder Betrachter für sich selbst entscheiden.
Weitere Kostenlose Bücher