Die Stunde Der Toechter
spannend. Für ihren Geschmack war er zu melodramatisch. Dagegen schwor sie auf nüchterne Professionalität. Emotionen waren selten hilfreich. Am allerwenigsten, wenn man Geschäfte mit der russischen Mafia machte.
Als sie durch die Halle schlenderte, erntete sie sehnsüchtige Blicke. Das würde Bogdanow ärgern. Gegenwärtig hatte er etwas gegen Aufmerksamkeit. Vielleicht war er deshalb nirgends zu sehen. Folglich setzte sie sich in einen Sessel und wartete. Es war kurz vor neun. In der Halle standen lauter Herren mittleren Alters herum. Sie schlug die Beine übereinander. Der Effekt bei den Männern war durchschlagend. Es mussten Versicherungsagenten sein. Oder Außendienstler einer Pharmafirma.
In ihrer Handtasche piepste das Handy. Sie meldete sich.
»Wir hätten gleich auf dem Laufsteg abmachen können!«
Sie antwortete nicht. Stattdessen schmunzelte sie still. Einer der Vertreter nahm es als Aufforderung und lächelte. Er hatte grau melierte Haare und eine sportliche Figur.
»Auf dem Limmatschiff. In zwanzig Minuten.«
Sie verstaute das Telefon wieder in ihrer Tasche. Er übertrieb es. Es war, als würde ein Kind Gangster spielen. Genervt stand sie auf. Der Gigolo löste sich von seinen Gesprächspartnern und kam auf sie zu.
Als er sie ansprechen wollte, legte sie ihm zwei Finger auf den Mund. »Vergiss es, Baby.«
Dann ging sie hinaus. Neben dem Eingang stand ein Messingschild mit den aktuellen Veranstaltungen. Es war ein Zahnärztekongress.
Nachdem sie die Straße überquert hatte, spazierte sie über den Drahtschmidlisteg zum Platzspitz. In ihrem Rücken klingelte ein Fahrradfahrer. Als sie nicht gleich beiseite sprang, raste er fluchend an ihr vorbei und verschwand weiter vorn im Park. Als sie selbst durch das Tor gegangen war, kam ihr eine Gruppe joggender Frauen entgegen. Sie ärgerte sich über den Velokurier, der sie beinahe über den Haufen gefahren hatte. Und überlegte, dass man beim Laufen offensichtlich wunderbar schwatzen konnte. Überall im Park standen oder saßen Gruppen von Jugendlichen. Bis sie bei der Anlegestelle des Limmatschiffs angekommen war, durchquerte sie einige Wolken Cannabisrauch.
Sie ging an Bord und setzte sich in die hinterste Reihe. So hatte sie niemanden im Rücken. Das Boot war klein und lag sehr flach im Wasser. Weil man so nahe am Wasserspiegel saß, hatte sie sich als kleines Mädchen vor diesen Fahrten gefürchtet.
Kurz bevor sie ablegten, stieg Bogdanow ein. Eine Schönheit war er noch nie gewesen. Derzeit verzerrten Stress und Ärger sein Gesicht. Dennoch war er tadellos gekleidet. Sie hatte ihn nie anders gesehen als im maßgeschneiderten Anzug.
Er kam allein. Weiter vorn saß ein Glatzkopf mit breiten Schultern. Der war schon da gewesen, als sie eingestiegen war. Sie ging davon aus, dass er der Gorilla war. Wenn man den bösen Buben spielte, brauchte man einen bösartig aussehenden Aufpasser.
Bogdanow setzte sich. Selbst lächelnd wirkte er verkrampft. »Sie sehen fantastisch aus!«
Immerhin versuchte er, charmant zu sein. Bis der Kontrolleur die Fahrkosten eingezogen hatte, sprachen sie nicht mehr. Weil sie keine Ahnung hatte, wohin es ging, löste Salome Hügli eine Rundfahrt für beide. Bogdanow nickte zum Dank.
An den Häusern der Altstadt entlang fuhren sie Richtung See. Von der Limmat aus betrachtet sah Zürich schmuck aus. Aus dieser Perspektive gefiel ihr die Wasserkirche am besten. Noch schöner war es nachts. Die Neonleuchten an der Münsterbrücke warfen ein besonderes Schattenspiel auf Kirche und Wasser.
»Sie haben einen hübschen Treffpunkt ausgewählt.«
Bogdanow schien nicht aufgelegt für eine Stadtbesichtigung. Einen Augenblick lang verbarg er Nase und Mund unter seinen Handflächen. Dann schien es, als hätte er beschlossen, zur Sache zu kommen.
»Wir sind äußerst irritiert, Salome. Die Personen, die ich vertrete, erwarten Respekt und Anerkennung.« Er nahm ein Taschentuch aus der Jackentasche und tupfte sich die Stirn ab. »Ich dachte, dass ich mich klar ausgedrückt hätte. Bei unserem ersten Treffen.«
Er steckte das Tuch weg und legte die Hände auf die Lehne des Vordersitzes. Die Finger waren tadellos manikürt. Salome Hügli ließ ihn so lange wie möglich reden.
»Das ist kein Versteckspiel unter Provinzganoven. Ich hoffe, dass Sie dies Ihrem Vater klarmachen werden. Weitere Verhandlungen wird es nicht geben.« Er schnaufte hörbar aus und blickte anschließend aus dem Fenster hinaus.
Sie fuhren unter der Quaibrücke
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