Die Stunde Der Toechter
Artikulation war ungelenk. Möglicherweise war er betrunken.
Sie holte ein weiteres Glas Wasser und setzte sich erneut. Ihr Spiegelbild im Fenster hob sich vom Lichtermeer im Hintergrund ab. Darin wirkte sie wie eine Frau, die nicht schlafen konnte. Nicht wie eine, die gerade überlegt, ob sie ihren Vater umbringen soll.
Unvermittelt erschien sein Kopf in der Scheibe. Auf einem Silbertablett. Dekoriert mit einem Lorbeerkranz. Darum herum tanzten Elfen. Vielleicht auch Huren. Plötzlich sah sie ihre Mutter. Ihre Tante. Und all die anderen Menschen, die er unglücklich gemacht hatte. Bei genauerem Betrachten würde sie sich womöglich selbst in dem Reigen finden.
Sie schaute weg.
Entweder traf sie die Entscheidung oder die Entscheidung traf sie. So war das Geschäft.
Sie nahm das Handy und wählte die Nummer ihres Vaters.
Es dauerte nicht lange, bis er abhob. Er hatte einen leichten Schlaf.
»Wir müssen miteinander sprechen.«
Es brauchte keine Erklärungen. Sie machten eine Zeit ab, woraufhin er aufhängte. Salome Hügli schaltete das Handy aus und ließ es fallen. Danach öffnete sie die Glastür zur Terrasse. Kalte Tropfen zerstoben auf den Steinplatten und spritzten an ihre Beine. Sie ließ den Bademantel auf den Boden gleiten. Dann trat sie in den Regen hinaus.
31.
Er erwartete sie im Hinterzimmer seines Lieblingsclubs. In einer Vitrine standen die Pokale, die er in seiner kurzen Karriere als Boxer gewonnen hatte. Sein Büro in der Nähe der Börse benutzte er lediglich für Gespräche mit Außenstehenden. Für Anwälte, Konkurrenten, Medien, Polizei.
»Du hast dich herausgeputzt. Wie für einen Geschäftsabschluss. Oder eine Gerichtsverhandlung.«
Sie trug ein Deuxpièces, eine Bluse aus roher Seide und Stiefeletten. Draußen regnete es in Strömen. Ohne auf seine Anspielung einzugehen, setzte sie sich in einen der Ledersessel.
Er schaute sie aufmerksam an. Breitbeinig wie immer thronte er in einem Fauteuil. Es dünkte sie, sein Bauch sei gewachsen.
Vor ihm standen eine Zweiliterflasche Cola und ein Sektkübel voller Eis. »Willst du etwas trinken?«
Sie nickte. »Ein Saft wäre schön.«
Er drückte auf einen Knopf unter der Lehne seines Sessels. Eines der Mädchen erschien. Eine dünne Afrikanerin in einem knappen Body. Sie sah müde aus.
Hügli deutete in Richtung Club. »An der Tränke stehen die letzten Böcke. Aber wir schließen gleich.« Es musste gegen halb neun sein. »Was haben wir für Säfte im Sortiment?«
Die Dünne überlegte. »Tomaten, Orangen und – wie sagt man? Pampelmousse?«
»Grapefruit, Kleine. Grapefruit heißt es auf Deutsch.«
Salome Hügli schmunzelte. »Eigentlich heißt es Pampelmuse auf Deutsch, Pa. Wie das französische Wort.« Sie schaute das Mädchen an und lächelte. »So einen Saft nehme ich gerne.«
»Mit Eis?« Das Lächeln wurde erwidert. Es wirkte mechanisch.
»Nein, danke.«
Die Afrikanerin ging hinaus. Als sie die Tür öffnete, drang harter Techno in den Raum.
Hügli schnaubte verächtlich. »Das habe ich davon, dass ich dich an die Universität geschickt habe. Du bist eine besserwisserische Schulmeisterin geworden.«
Sie deutete zu der Tür, durch die das Mädchen verschwunden war. »Wie alt ist sie? Wir haben abgemacht, dass du keine Minderjährigen anstellst. Das ist zu riskant, Pa.«
Er lachte. »So gefällst du mir besser! Aus dir wird noch eine richtige Puffmutter.« Glucksend ergriff er sein Glas. Der Bauch hüpfte auf und nieder. Aber er schaffte es, das Glas während seines Lachanfalls zum Mund zu führen und wieder zurückzustellen, ohne das Geringste zu verschütten. »Bei mir schaffen keine Kinder an. Auf dem Papier. Ich bin nicht erst seit gestern im Business.«
Sie schaute ihn skeptisch an. »Der letzte Prozess hat uns viel Zeit und Geld gekostet. Und vor allem Prestige.«
Hügli hatte sich wieder beruhigt. »Wenn wir schon von Geld sprechen. Willst du mir nicht endlich sagen, zu welchem Preis du mich verkaufen wirst?«
Die Tür ging auf und der Saft wurde gebracht. Sie warteten, bis sie wieder allein waren.
Salome Hügli lächelte traurig. »Es tut mir leid, Pa. Aber die Dinge sind nicht gelaufen wie geplant.« Sie schaute ihn an. »Du hast mir tüchtig ins Geschäft gefunkt. Das mit dem Zylindersiegel in Bogdanows Wohnung war kontraproduktiv. Jetzt haben wir ein größeres Problem als zuvor. Leider ging mein Gegenschlag ebenfalls ins Wasser.«
Sie nippte an ihrem Glas und schaute ins Nichts. In ihrem Job hatte sie mit
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