Die Stunde Der Toechter
vielen Männern zu tun. Ihr Vater machte sie immer noch am nervösesten.
Er beugte sich vor. »Du hast nicht mit offenen Karten gespielt, Meitli.« Er ergriff ihre Hand.
Sie zuckte zusammen.
»Schau mich an, Salome!«
Sie sah auf. Sein Blick war nicht böse. Er erinnerte sie an früher.
»Geschäft ist Krieg, und Krieg ist Geschäft. Manchmal verliert man eine Schlacht. Das ist noch nicht der Untergang.« Er drückte ihre Handfläche. »Wir gehen nur unter, wenn wir nicht zusammenhalten. Wir sind ein Familienunternehmen, Salome.« Er ließ die Hand los und lehnte sich zurück.
Salome Hügli starrte seine aufgedunsenen Beine an. Die Füße steckten in ledernen Mokassins. »Warum hast du mich mit ihm allein gelassen, Pa?«
Zunächst schien Hügli nicht zu verstehen. Lange blickte er sie fragend an.
Plötzlich begriff er. »Mit Kari?«
Ruhig fixierte sie ihn. »Ja, mit deinem Sohn Karl. Du hast genau gewusst, was er in der Villa gemacht hat. Trotzdem hast du mich dort gelassen. Irgendein Geschäft war wichtiger.« Langsam führte sie das Glas zum Mund. Auch ohne Eis war der Saft eiskalt. »Und nun erzählst du mir, dass Familien zusammenhalten müssen!« Sie stellte das Glas ab. Danach schaute sie ihn an.
Er wich ihrem Blick aus. Das erste Mal, seit sie sich erinnerte. Nervös strich er sich die Hosen glatt. Als wüsste er nicht, wohin mit seinen Fingern. Es war still im Raum. Nicht einmal der dumpfe Technobass aus dem Club war zu hören.
Hügli stützte die Ellbogen auf den Knien ab und faltete die Hände zusammen. Er legte das Kinn auf seine Hände und schob die Unterlippe vor. Es sah trotzig aus. Schließlich grummelte er etwas.
Salome verstand kein Wort. »Willst du mir etwas sagen, Pa?«
Er holte Luft. Als ringe er nach Worten. Rastlos kreisten seine Augen durch den Raum. Mehrmals setzte er an, ohne etwas herauszubringen. Er sah aus wie ein gestrandeter Fisch.
»Ich konnte es nicht so mit Kindern.« Hügli sah seine Tochter an, als staune er selbst darüber, dass dieser Satz so kurz geraten war. Angesichts der Anstrengungen, die er ihn gekostet hatte. »Deine Mutter war auch keine Hilfe. Diese Schlampe! Sie hat uns beide sitzen lassen.« Trotz schlich in seine Augen zurück. Langsam bewegte er sich wieder in seinem vertrauten Element. »Ich war Maurer, Boxer, Schuldeneintreiber, Zuhälter. Wie soll man da wissen, wie man Kinder erzieht, verdammt noch mal? Immerhin habe ich eine Firma aufgebaut. Und ich habe dir beigebracht, wie man in einem harten Geschäft überlebt!« Er blickte seine Handflächen an und schwieg wieder.
Salome Hügli trank einen Schluck Saft. Als sie das Glas abgestellt hatte, blickte sie ihren Vater an. »Willst du sagen, dass du überfordert warst, Pa?«
Ein Schatten huschte über sein Gesicht und verschwand in seinen Augen wie ein Schiff im Bermudadreieck.
Sie legte die Hände auf die Knie. Ihre nackte Haut war kalt. Mit ihren Handflächen tastete sie nach dem Blut in ihrem Körper.
»Ich habe ihn umgebracht, Pa.« Langsam sah Salome auf. Die Konturen verschwammen in ihrem Blickfeld. Ihr war, als würde ein eisiger Nebel unter ihrem Stuhl hervorkriechen und den Raum einhüllen.
Lange blieb es still.
Dann seufzte er. »Ich weiß.« Mit der rechten Hand strich er über sein Gesicht. Seine Augen blieben trocken. Seit vielen Jahren. Schließlich beugte er sich vor und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Aber wir leben!«
Endlos lange blickte sie ihren Vater an. Irgendwann einmal nickte sie.
Er blies einen langen Atemstoß durch seine Lippen hindurch gegen die Decke. »Jetzt brauche ich einen Schnaps.« Er drückte erneut auf den Knopf.
Salome Hügli stand auf. Sie nahm ihre Handtasche und ging auf die Toilette, um sich frisch zu machen. Als sie zurück in das Hinterzimmer kam, stand der Rausschmeißer neben ihrem Vater. Einer seiner brutaleren Schläger. Er stellte eine Flasche Whiskey und zwei Gläser auf den Tisch. Dabei nickte er Salome kurz zu und ging daraufhin wieder hinaus.
Ihr Vater schenkte sich einen tüchtigen Schluck ein und blickte sie fragend an.
Sie winkte ab. Dann öffnete sie ein Fenster und setzte sich wieder.
Ihr Vater leerte das Glas in einem Zug. »So. Jetzt sag mir, was Sache ist. Will die Schwuchtel immer noch mein Kunstgeschäft haben?«
Salome Hügli stürzte den Rest ihres Saftes hinunter. »Er will die Geschäftsunterlagen, sämtliche Kontakte und Stämpfli.« Sie zögerte einen Moment. »Und deinen Kopf. Wortwörtlich. Wie in der
Weitere Kostenlose Bücher