Die Stunde Der Toechter
Kollege saß auf dem Sofa. Daneben eine Frau. Um die fünfzig. Mit einer wilden schwarzen Mähne. Den enormen Busen hatte sie in ein enges weißes Spitzenkorsett gezwängt. Die Schminke in ihrem Gesicht war verlaufen. Köbi hielt ihre Hände umschlossen. Rechts vor den beiden stand ein älterer Mann. Schnauz und kurz geschorene, graue Haare.
Johanna reichte ihm ihren Ausweis.
Mit giftigem Blick gab er ihn kurz darauf zurück. »Wir brauchen hier nicht noch mehr von eurer Sorte. Und die Jugos könnt ihr auch behalten.« Grummelnd deutete er auf Köbi. »Ist das ein Polizist oder ein Pfaffe? Kein Wunder werden in Zürich Leute abgeknallt wie Tontauben.«
Köbi blickte auf. »Endlich, Jo! Der alte Mann hat alles selber machen müssen.«
Wütend schüttelte Graber den Kopf. »So ein Scheißdreck! Aber Zürcher wissen immer alles besser.« Schnaubend ging er hinaus.
Johanna roch Zigarrenrauch. Sie setzte sich auf einen Schemel.
Köbi schaute dem wütenden Kollegen hinterher. »Lass den Aargauer labern. Er ist sauer, weil er arbeiten muss. Dabei hat Alice das Wichtige für ihn erledigt.« Er deutete mit dem Kopf in den anderen Raum. »Sie hat den Halunken dort draußen mit Medikamenten und Schnaps vollgestopft. Ich musste ihn nur noch vom Boden auflesen.«
Johanna schaute die Frau an. Die achtete nicht auf das Gespräch, sondern schluchzte in ein Taschentuch. Köbi tätschelte ihre Hände. Als Johanna die Fingernägel sah, war ihr klar, woher die Wunden im Gesicht des Kroaten stammten.
Johanna stand wieder auf. Nichts zu tun zu haben, war ihr zuwider. Aus dem anderen Raum wurde die Bahre hinausgetragen. Flankiert von vier Beamten. Und Graber.
Er hielt kurz inne. »Uns wird der Sauhund nicht entwischen.« Dabei verzog er den Mund zu etwas, das vermutlich Spott und Häme ausdrücken sollte. »Wenn ihr anständig fragt, könnt ihr ihn am Montag haben. Sobald das Administrative erledigt ist.«
Johanna holte eine Zigarette hervor. »Das wird der Chef regeln. Er sollte nächstens hier sein.« Sie blickte sich im Raum um. »War der Kroate allein?«
Graber antwortete nicht. Ohne weitere Erklärungen folgte er der Bahre.
Johanna ging zurück zu Köbi. Dieser bettete seine Freundin auf das Sofa und deckte sie mit einer Decke zu. Anschließend nahm er Johanna am Arm.
»Ich kann einen Kaffee vertragen.« Zwinkernd setzte er Johanna auf einen Barhocker und ging selbst hinter den Tresen. »Oder eine Ovomaltine.« Interessiert inspizierte Köbi das Schnapsregal.
54.
Zuletzt hatte sie mit ihrem Exfreund spanisch gegessen. Das musste vor anderthalb Jahren gewesen sein. Seither mied sie diese Küche aus emotionalen Gründen. Ihn traf sie zuweilen auf der Straße. Mit jedem Mal tat es weniger weh.
Luc lächelte. Johanna di Napoli zerfloss, wie das Filet auf ihrer Zunge zergehen würde. Die Chefin des Hauses nahm die Bestellung entgegen. Das Picasso war ein unscheinbares Restaurant in der Nähe der Langstrasse. Mit göttlichem Fleisch, feinem Hähnchen, wunderbaren Kartoffeln und zauberhaftem Tintenfisch. Dafür, dass sie sich das seinetwegen vorenthalten hatte, hasste Johanna ihren Ex. Und auch dafür, dass er ein Kind hatte mit einer Frau, die ihre jüngere Schwester hätte sein können.
»Hör mal, Johanna. Ich muss dir etwas sagen.« Luc machte ein ernstes Gesicht. Es sah beunruhigend aus.
Sie hatte keinen blassen Schimmer, was ihn durcheinandergebracht haben könnte. »Bist du Vegetarier?«
»Nein, nein. Die Karte sieht fein aus.« Er lächelte gequält.
Die Bedienung wartete geduldig. Den Schreibblock in der Hand, ein Schmunzeln auf den Lippen.
»Das Filet ist ein Traum. Brathähnchen mit Knoblauch kann ich ebenfalls empfehlen. Oder lieber eine Seezunge?«
Hilflos blickte er sie an. »Entscheide du, Johanna!«
»Dass du mir beim Essen vertraust, ist nicht schlecht. Für den Anfang.«
Schmunzelnd bestellte sie zwei Filets mit Pfeffersauce, Bratkartoffeln und als Vorspeise Tintenfisch vom Grill. Dazu eine Flasche Rotwein.
Daraufhin strahlte sie ihren welschen Anwalt an. »Wie läuft es in der Wirtschaft? Wie viele Geldwäscher und Drogendealer hast du heute vor mir gerettet?«
Luc lachte. Er schien etwas lockerer zu werden. Mittlerweile vermutete sie, dass in Lausanne eine hübsche junge Rechtsstudentin auf ihn wartete. Denn anders war sein Verhalten kaum zu erklären. Doch die Freundin würde Johanna nicht besonders stören. Solange die andere in der Romandie blieb.
»Nicht alle Wirtschaftsanwälte sind
Weitere Kostenlose Bücher