Die Stunde Der Toechter
kriminell. Mein Chef zum Beispiel ist es nicht.«
Der Wein wurde gebracht. Johanna überließ es Luc, ihn zu probieren. Sie betrachtete lieber seine Lippen.
Er nickte.
Der Wein wurde eingeschenkt. Sie stießen an.
»Du meinst, noch nicht.« Grinsend stellte Johanna ihr Glas ab.
Er schnitt eine Grimasse, sagte aber nichts weiter.
Seit geraumer Zeit stand die Schale mit Knoblauchbutter vor ihr. Weil sie vorhatte, Luc an diesem Abend zu küssen, musste sie vorsichtig damit umgehen. Trotzdem konnte sie sich nicht beherrschen. Sie bestrich ein Stück Brot und steckte es sich in den Mund. Luc tat es ihr gleich. Na also. Am Knoblauch würde es nicht scheitern.
Der Tintenfisch wurde aufgetischt. Die Kellnerin stellte den Teller in die Mitte des Tisches.
»Und bei dir? Wie läuft dein Job?«
Johanna schluckte eine gigantische Portion Sepia hinunter. Dann nahm sie das Glas. »Was soll ich sagen? Verschissen? Total verschissen?«
Erstaunt hob er seine Augenbrauen.
Beim Trinken bewunderte sie zum wiederholten Mal seine lang geschwungenen Wimpern. »Ich bin gern Polizistin. Damit das klar ist. Aber alles ist so kompliziert. Das Gesetz. Die Bürokratie. Die Hierarchie. Die Menschen. Die Moral.«
Aufmerksam hörte er ihr zu.
»Ich bin einfach gestrickt, verstehst du? Ich will die bösen Burschen in den Arsch treten und verhaften.« Sie grinste. »Aber mit dieser Einstellung lernt man höchstens Anwälte kennen – vor allem Staatsanwälte.« Theatralisch seufzte sie. »Leider nie so hübsche wie dich.«
Abermals huschte ein Schatten über sein Gesicht.
Etwas war im Busch. Vielleicht befand sich das junge Mädchen in Zürich statt in Lausanne. Er hätte das Treffen auch absagen können. Doch er war gekommen. So einfach würde sie ihn nicht wieder gehen lassen. Nicht einen mit solchen Lippen.
»Du bist ein leidenschaftlicher Mensch, Johanna.«
Sie spießte das letzte Stück Tintenfisch auf und streckte es Luc über den Tisch entgegen. Dankend schüttelte er den Kopf. Also steckte sie es sich selbst in den Mund.
»Das ist mein italienischer Vater.« Lachend tunkte sie Brot in die Sauce auf dem Teller. »Leider hat er sich aus dem Staub gemacht, ohne mich vor seinem heißen Blut zu warnen.«
Luc rutschte auf seinem Stuhl hin und her. Wenn das so weiterging, würde sie ihm sagen, dass er seine Freundin anrufen und herholen solle. Glücklicherweise kam die Kellnerin, um abzuräumen. Johanna trank einen Schluck Wein. Luc schaute nachdenklich zu, wie sein Teller weggetragen wurde. Kurz darauf wurden das Filet und die Kartoffeln gebracht. Johanna machte sich sogleich darüber her. Wenn man ein Stück Fleisch vor sich hatte, das sich weder wehrte noch zierte, musste man zuschlagen.
»Schmeckt es dir?« Luc lächelte.
Immerhin.
Johanna fand ihr Gericht unglaublich fein. Glücklich schaute sie ihrem Gegenüber beim Essen zu. Da das mit dem Küssen vielleicht doch nicht klappen würde, wollte sie sich wenigstens sattsehen.
Eine Weile schwiegen beide. Johanna überlegte, wohin sie nachher gehen konnten. Irgendwohin, wo man sich näherkam. Tanzen wäre ideal.
Als die Kellnerin eine zweite Portion Kartoffeln brachte, winkte Johanna ab. Lieber aß sie das Fleisch auf. Luc schien ebenfalls genug zu haben. Johanna schenkte Wein nach. Er hatte kaum getrunken. Sie hingegen genug.
Langsam nahm dieser Abend eine Wendung, die ihr überhaupt nicht passte.
»Heute habe ich eine alte Dame ins Heim zurückgebracht.«
Irritiert blickte Luc sie über ein Stück Filet hinweg an.
»Ein verwirrtes altes Mütterchen. Vor Kurzem wurde sie ins Heim eingeliefert. Mein Kollege hat die Exmission gemacht. Weißt du, was das ist?«
Er nickte.
Sie schippte Fleisch auf ihre Gabel. »Heute ist die Dame an die Langstrasse zurückgekehrt. Wahrscheinlich hat ihr das Essen im Heim nicht gepasst. Zu wenig Kebab.«
Ohne mit der Wimper zu zucken, schaute er sie an.
Sie schluckte, wischte sich die Lippen ab und fuhr fort. »Jedenfalls ist sie heute fröhlich an der Langstrasse spazieren gegangen. Der Chefarzt hat sie polizeilich suchen lassen. Also bin ich los. Auf der Bäckeranlage habe ich sie gefunden. Sie saß friedlich in der Sonne und hat den Kindern beim Spielen zugeschaut. Herzig, nicht?«
Er nickte erneut.
Sie setzte ihr Glas an. »Ich habe mich eine Weile zu ihr gesetzt. Irgendwann fragte ich sie, ob ich sie in ihr neues Zuhause begleiten dürfe. Diesen Vorschlag fand sie toll. Also habe ich sie eingepackt und zurückgebracht.« Johanna
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