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Die Stunde Der Toechter

Titel: Die Stunde Der Toechter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Herzig
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erschossen. Der Mörder hat ihm die Gurgel durchgeschnitten. Anschließend den Kopf abgehauen.«
    Judith bewegte sich nicht. Aber Johanna war, als zittere Tamaras Cousine leicht. Sie ließ sie in Ruhe und beobachtete die Kinder. Die sich um einen Strauch scharten. Wahrscheinlich hatte sich der Hase darin versteckt. Ein Bube kam mit einem Besen angerannt und stocherte damit im Gebüsch herum.
    Abrupt schaute Judith auf. »Habe ich ihn etwa umgebracht?«
    »Niemand behauptet, dass du einen Mord begangen hast. Der mutmaßliche Täter ist verhaftet.« Johanna sprach so ruhig wie möglich. »Aber jede Tat hat einen unmittelbaren Anlass und eine tiefere Ursache. In diesem Fall hast du das Verbrechen erst ermöglicht.« Sie machte eine Pause. »Dadurch dass du Bernhards Dokumente aus dem Tresor genommen und weitergegeben hast. Sie waren seine Garantie, dass ihm nichts geschehen würde. Bevor seine Mörder ihn umbringen konnten, mussten sie diese Unterlagen beschaffen. Du hast Bernhard den Stuhl unter den Füßen weggezogen, Judith. Die Schlinge hat ihm jemand anderes um den Hals gehängt.«
    Die Angesprochene presste die Lippen zusammen. Ihre Kiefermuskeln spannten sich. Doch sie sagte nichts.
    »Zudem waren Dokumente dabei, die für die Polizei bestimmt waren. Beweise. Die sind nun ebenfalls weg.«
    Johanna schaute wieder zu den Kindern hinunter. Mittlerweile spielten sie auf der Straße Fußball. Das Kaninchen war nirgends zu sehen. Vermutlich starb es gerade an einem Herzinfarkt.
    Plötzlich sprang Judith auf und rannte in die Wohnung. Kurz darauf kam sie zurück und knallte Johanna eine Visitenkarte vor die Nase.
    »Da! Dieser Dame habe ich die Unterlagen gegeben. Da steht nicht Mafia drauf! Sondern der Name einer gemeinnützigen Organisation. Diese Frau wurde meinem Vater von einem Dienstkollegen empfohlen. Einem renommierten Zürcher Anwalt.« Triumphierend baute sie sich vor Johanna auf. »Mich trifft keine Schuld. Ich habe in Treu und Glauben gehandelt! Alles andere ist Verleumdung.« Wut verzerrte ihr Gesicht. »Bernhard Stämpfli war ein Verbrecher. Und ein Macker, der die Frauen häufiger gewechselt hat als die Unterhosen. Wenn jemand schuld ist an seinem Tod, dann nur er selbst. Aber ihr schiebt es natürlich mir in die Schuhe! Ihr bornierten Weiber seid bloß eifersüchtig! Du und Marianne und Tamara. Mit euren kaputten Familien!«
    Johanna trank das Glas aus. »Für wie viel Geld hast du die Unterlagen verkauft, Judith?«
    Auf einmal war Bernhard Stämpflis Nichte totenbleich. Einen Herzschlag lang sah es aus, als werde sie ohnmächtig.
    Dann tobte sie. »Raus aus meiner Wohnung!« Die Adern auf ihrer Stirn schwollen an.
    Johanna stand auf und steckte die Visitenkarte ein. Wortlos ging sie zu Tür. Auf der Treppe nahm sie zwei Stufen auf einmal. An monumentalen Kinderwagen, Dreirädern und überquellenden Schuhregalen vorbei.
    Draußen bespritzten sich zwei nackte Kinder mit Wasser. Johanna wich ihnen aus. Dann ging sie um die Ecke auf die Straße. Die Rasselbande aus dem Nachbargarten spielte immer noch Fußball.
    Kurz vor ihrem Auto kam ein kleines Mädchen auf sie zu. »Man sieht, dass du nicht von hier bist.«
    Kichernd schaute das Mädchen zu, wie Johanna in ihr Auto stieg. Bevor sie wegfuhr, hupte sie zweimal, damit die Kinder von der Straße verschwanden. Prompt kam aus einem Garten ein Mann gelaufen. Fluchend und gestikulierend. In Shorts und Flip-Flops. Johanna schaltete die Musik ein und drehte die Lautstärke auf.
    In der Lorrainestrasse bog sie links ab und fuhr stadtauswärts. Auf der Autobahn gab sie Gas. Erst als sie das Emmentalschild am Straßenrand sah, verringerte sie das Tempo. Einem spontanen Einfall folgend verließ sie in Kirchberg die Autobahn. Am ersten Kreisel zweigte sie in Richtung Burgdorf ab. Um die Stadt machte sie einen Bogen und fuhr weiter ins Emmental. Sie war schon lange nicht mehr so zornig gewesen.
    Um ein Haar hätte Judith Stämpfli zugeschlagen.
    Johanna schaute aus dem Fenster hinaus. Der Anblick der sanft geschwungenen Hügel beruhigte sie langsam. Vor Langnau bog sie links ab. Die Steigung war genauso steil wie früher. Mit maximaler Geschwindigkeit und heulendem Motor nahm sie die Kurven.
    An einer vertrauten Stelle fuhr sie in einen Feldweg hinein und parkte. Anschließend lief sie die Wiesen entlang. Fettes Grün, Gänseblümchen, Löwenzahn, Kuhfladen. Neugierige Rinder kamen ihr entgegen. Johanna kletterte über Zäune und ging weiter, bis sie endlich den

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