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Die Stunde Der Toechter

Titel: Die Stunde Der Toechter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Herzig
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Flecken fand, wo sie früher immer gesessen war, wenn sie Kummer hatte. Sie ließ sich in das Gras fallen und steckte sich eine Zigarette an. Nach der dritten nahm sie das Handy hervor.
    »Brunner.«
    »Charlie, ich bin’s, Johanna.«
    »Was gibt’s? Von Kranach sagt, du seiest nach Bern gefahren. Hast du etwas herausgefunden?«
    Sie seufzte. »Ja, leider. Eigentlich ist mir jetzt alles klar. Nur die Beweise fehlen.«
    »Das kann passieren, Jo.« Er wurde ungeduldig.
    »Hör mal, Charlie. Ich brauche Ferien. Außerplanmäßig. Ich muss persönliche Dinge klären.«
    Am anderen Ende war es einen Moment still. »Wie dringend?«
    Das hatte sie sich noch gar nicht überlegt. »Nächste und übernächste Woche?«
    Sie hörte ihn schnaufen. »Es sind Sommerferien, Jo. Die halbe Mannschaft ist weg.«
    Das hatte sie erwartet. »Und wenn ich die Hälfte unbezahlt nehme? Eine Woche?«
    Charlie überlegte kurz. »Okay. Von mir aus. Aber du sagst es von Kranach!«
    »Klar.«
    »Gern geschehen. Ich bin kein Unmensch.«
    Sie fühlte sein Grinsen.
    »Und, eh, Jo! Ist etwas passiert?«
    »Nichts Besonderes. Ich muss bloß mit mir selber klarkommen. Und einen sterbenden Schurken besuchen.« Auf einmal grinste sie zurück.
    »Was auch immer das heißt, Jo. Sonst noch was?«
    »Nein, alles klar. Dank dir, Charlie.«
    Er hängte auf.
    Johanna blickte das Zigarettenpäckchen an. Somit hatte sie also entschieden, dass sie nach Lausanne fahren und ihren Vater besuchen würde. Anschließend wollte sie richtig weg. Weit weg. Sie legte sich ins Gras und fragte sich, wo das sein könnte.
    58.
    »Es tut mir leid, Frau Stämpfli, aber wir werden Ihre Anspruchsberechtigung überprüfen müssen.«
    Judith Stämpfli blickte auf das Bündel Pflichtbewerbungen, das sie mitgebracht hatte. Sie hatte sich ausschließlich auf Stellen beworben, bei denen sie garantiert keine Chancen hatte. Das Letzte, was sie benötigte, war ein Job. Schließlich musste sie eine Dissertation schreiben. Das Arbeitslosengeld deckte die Kosten der Kinderkrippe. Die Tante am Schalter war bloß genervt, weil sie zu spät in das Arbeitsvermittlungszentrum gekommen war. Das war offensichtlich.
    »Es bestehen begründete Zweifel, dass Sie vermittlungsfähig sind. Sie schreiben eine Arbeit an der Universität, die Ihnen die Annahme einer Erwerbstätigkeit unmöglich macht.« Die Frau blickte sie entschuldigend an. »Das ist eine Information, Frau Stämpfli. Kein Entscheid. Diesen werden Sie schriftlich erhalten. Mit den entsprechenden Einspruchmöglichkeiten.«
    Judith Stämpfli stand auf und ging. Die Alibibewerbungen ließ sie liegen. Sollte die Schlampe doch damit machen, was sie wollte.
    Draußen setzte sie die Sonnenbrille auf. Es war ein wunderbarer Tag. Zuerst nahm sie den Bus zum Bahnhof. Dann spazierte sie durch die Altstadt. In einem biologischen Warenhaus kaufte sie das Abendessen. Ein paar Häuser nebenan befand sich ein Laden mit Kinderkleidung. Dort erstand sie ein blau-weiß gestreiftes Matrosenleibchen. Anschließend kaufte sie sich ein Eis und ging weiter. Sie spazierte bis zur Nydeggbrücke hinunter und durch einige andere Gassen wieder zurück. Die Laubengänge vermittelten ihr ein Gefühl der Geborgenheit. Wehmütig streifte sie an den Geschäften vorbei. Ein Tischler, eine Goldschmiede, eine Pferdemetzgerei, ein Antiquariat für Kunstbücher, eine Teppichhändlerin. In einem hübschen kleinen Designergeschäft probierte sie mehrere Kleider an. Am Schluss entschied sie sich für einen kurzen Rock. Er war teuer. Und gewagt. Solche Dinge konnte sie immer noch tragen, ohne dass es billig aussah.
    Auf dem Bärenplatz brach sie zusammen. Mehrere Passanten kümmerten sich um sie. Ein Mann fühlte ihren Puls. Dann schob er ihr die Einkaufstasche unter die Füße. Es dauerte nicht lange, bis sie wieder zu sich kam. Als sie blinzelte, legte ihr der Mann die Hand an die Stirn.
    »Hallo, hören Sie mich? Hallo?«
    Judith öffnete die Augen. Jemand Unbekanntes blickte sie an. Darum herum sah sie Leute stehen, die zu ihr herunterschauten.
    »Sehen Sie mich?«
    Sie nickte.
    »Sagen Sie mir bitte, wie Sie heißen!«
    Ohne zu antworten, schloss sie die Augen wieder.
    »Hallo? Hören Sie mich?« Der Mann tätschelte ihr die Wange.
    Erneut schlug sie die Augen auf. »Bin ich weggetreten?«
    Der Mann nickte. Aus einem der Freiluftrestaurants brachte ein Kellner ein Glas Wasser. Der Mann hielt es ihr an die Lippen.
    Sie trank. »Danke. Es geht schon wieder.«
    Der Mann gab dem

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