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Die Stunde der toten Augen

Die Stunde der toten Augen

Titel: Die Stunde der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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nach dem Waldweg. „Hinten am Holzplatz." Er warf noch einen Blick auf die Stellung und stieg dann zur Straße hinab. Er schärfte dem Russen ein, sich nicht eher als um elf Uhr blicken zu lassen, und der Mann nickte eifrig.
    „Und die Nerven behalten", sagte Timm, „wenn von der anderen Seite was gefahren kommt. Nicht nervös werden. Den einen in den Waldweg winken und dem andern seelenruhig winken, daß er auf der Straße in Richtung auf die Kreuzung weiterfahren kann."
    Der Russe nickte wieder und sagte ein paarmal hintereinander hastig: „Jawohl, jawohl."
    „Nicht die Nerven verlieren", sagte Timm wieder, „das muß alles verdammt amtlich aussehen, denn davon hängt es ab, ob einer was riecht oder
    nicht. Du mußt so amtlich winken, als hätte dich Stalin persönlich hierhergestellt. Und wenn einer was fragt, brüllst du ihn an, er soll den Verkehr nicht behindern. Du weißt doch, wie ihr das macht. Du weißt es besser als wir."
    „Jawohl", sagte der Russe. Timm verschwand in dem Waldweg, und der Russe verkroch sich unter die Zweige am Straßenrand. Es wurde wieder so still wie zuvor.
    Die Nacht kam, und sie war klar und sternenhell. Eine schwache Mondsichel segelte über den Wäldern. Auf der Straße schnauften ab und zu
    Fahrzeuge. Einzelne Lastwagen, Motorräder, Kolonnen, die mit abgeblendeten Lichtern aus dem Hinterland zur Front fuhren. Starke, vollbeladene Fahrzeuge mit dröhnenden Motoren. Sie schleppten Munition und Verpflegung. Zuweilen waren sie mit Infanteristen besetzt. Aber die meisten beförderten Lasten und hatten kleine Geschütze angehängt, Feldküchen oder Granatwerfer, die auf ihren Gummirädern hinter den schweren Wagen hertanzten.
    Auf dem Holzplatz verminten die Soldaten eine Fläche von annähernd fünfzig Quadratmetern. Sie taten es nach einem bestimmten System, und die Minen waren nicht auf Druckzündung eingestellt, sondern an eine Leitung angeschlossen, die in einem Schaltkästchen endete, das ein paar hundert Meter entfernt im Walde stand.
    Zado lehnte an einer Fichte, als Timm an ihm vorüberging. Er hatte die Pelzmütze in der Hand, und sein Haar hing ihm verschwitzt ins Gesicht. Timm stieß ihn vor die Brust und fragte: „Müde?"
    „Nicht die Spur", antwortete Zado grinsend, „ich könnte Bäume ausreißen. Alles, was an Bäumen hierherum steht. Wann geht denn unser Bus?"
    „Um vier Uhr."
    „Bißchen spät", meinte Zado, „schaffen wir es in zwei Stunden bis zu diesem See oder nicht?"
    "Wir schaffen es", sagte Timm. „Wir brauchen keine zwei Stunden dafür, aber wir sehen zwei Stunden vor. Das heißt, daß wir für unseren Friedhof hier drei Stunden haben. Nach meiner Rechnung können wir in der Zeit gut und gerne fünfzehn Fahrzeuge kapern. Vielleicht sogar mehr."
    „Vielleicht", sagte Zado. „Aber vielleicht reißen sie uns auch den Arsch auf."
    „Eben", nickte Timm ungerührt, „deswegen haben wir dich ja mitgenommen. Damit du endlich wieder mal zu einem Vergnügen kommst."
    Als es elf Uhr war, stellten die beiden Russen an der Kreuzung sich mitten auf die Straße. Der Obergefreite nahm den Telefonhörer und sagte gedämpft: „Achtung, Motorgeräusch."
    Es war ein einzelner Tankwagen. Ein schweres, dreiachsiges Fahrzeug. Der Russe mit dem roten Fähnchen hielt es an und brüllte dem Fahrer heiser zu: „Umleitung, zweihundert Meter rechts. Entgegenkommende Panzer. Der nächste Posten weist dich in den Umgehungsweg ein. Beeil dich, damit du von der Straße kommst..."
    Der Fahrer entgegnete etwas Unfreundliches, und der Beifahrer neben ihm hob schläfrig den Kopf. Sie hatten erst vor einer halben Stunde die Sitze gewechselt.
    Dann fuhr der Tankwagen an, und der Obergefreite sagte in die Telefonmuschel: „Geht in Ordnung. Achtung, er kommt zu euch ..."
    Der kleine Russe an der Abzweigung des Waldweges winkte mit seiner roten Fahne seitwärts, und der Tankwagen drehte nach rechts ab. Als er an dem Russen mit der Fahne vorbeifuhr, fragte der Fahrer unmutig: „Wie weit geht das auf diesem komischen Weg?"
    „Hundert Meter entfernt steht ein Posten, der weist dich weiter", erwiderte der Soldat mit dem Fähnchen.
    Der Wagen fuhr an, und der Fahrer knurrte mißmutig: „... deine Mutter!"
    „Jawohl!" rief der Posten ihm nach. „Aber schieb endlich deine Kiste von der Straße. Die Panzer kommen gleich!"
    Hundert Meter weiter winkte einer der Russen dem Wagen, langsamer zu fahren, während der andere, die Füße aneinander schlagend, daneben stand. Am Rand des Weges

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